»MARLENE«

Späte Rache

Opas Kino zuckt wieder

Schon zu Lebzeiten mußte Frau Dietrich in ihrem Geburtsland einiges über sich ergehen lassen. Nachdem die Nazis irgendwann begriffen hatten, dass sie trotz lukrativster Angebote niemals im nationalsozialistischen Film spielen werde, bedachte man sie mit einer publizistischen Kampagne der Verleumdung. Als amerikanische Staatsbürgerin schließlich engagierte sie sich ab 1943 bis zum Ende des Krieges in der US-Truppenbetreuung, was speziell in den 60ern in Deutschland zu heftigen Diskussionen führte, die mitunter noch zu Beginn der 90er zu beschäftigten wußte. Eine Verräterin sei sie gewesen, ihr Vaterland hätte sie im Stich gelassen.
Dass ihr nun von Christian Pfannenschmidt ein solches Drehbuch angedichtet wird, das dann auch noch von Joseph Vilsmaier verfilmt wird, das hätte nicht passieren müssen. Eine deutsche "Großproduktion" muß ja nicht gleich den Mythos von Marlene Dietrich durchbrechen. Aber zumindest eine korrekte Darstellung desselben darf jawohl schon erwartet werden. Wenn sich diese allerdings in der Aneinanderreihung von albernen Männergeschichten erschöpft, wobei dazu sogar die intensivste der Liebeleien ohne Sinn und Verstand aus dem fiebrigen Hirn des offensichtlich filmfremden Autors quoll, so läßt das eher auf die Verantwortlichen des Films rückschließen als auf den Mythos Marlene. Hat sie nun mit Gary Cooper oder nicht? Kolportagehaft dehnt das Drehbuch Antworten auf derlei aus und pellt sich ein Ei auf die Fragen, die sich hinter den bloßen Vorgängen auftun. So war sie nun mal, die Marlene, viele Männer und (huch) auch mal eine Frau dazwischen. Da müssen dann auch reihenweise Figuren geopfert werden; so erscheint Josef von Sternberg als der allerletzte Depp, der in Kinski/Herzogscher Art seine geliebte Feindin nicht in den Griff bekommt und überhaupt ohne sie ganz ein armer Schlucker ist.
Marlene Dietrich ist durch peinlichste Umstände zum Politikum geworden, ihr Leben zum Spiegel eines Kapitels deutscher Befindlichkeit. Und wie geht der Film damit um? "Das war das einzig Wichtige, was ich jemals gemacht habe", sagte die echte Marlene über ihr Engagement für die US-Truppen im Zweiten Weltkrieg. Bei Joseph Vilsmaier sieht das dann so aus: Marlene Dietrich drückt einem gestorbenen deutschen Soldaten im US-Gefangenenlazarett sichtlich bewegt die Augen zu. Eine Versöhnung mit der ehemals Abtrünnigen. Zum Kotzen.
Sicher, mit den politischen Feinheiten hat es Joseph Vilsmaier, der Guido Knopp deutscher Filmunterhaltung, nicht sonderlich. Dann soll er sie aber bitte auch gänzlich einschränken. Gegen reine Unterhaltung ist ja auch gar nichts zu sagen, so sie denn wenigstens kurzweilig und einfallsreich erzählt ist. Marlene allerdings ermüdet durch Vilsmaiers seit Jahren unverändert konservative Bildsprache, seinen auf eine bierernste Oberfläche gestempelten Chique, die staubtrockene Funktionalität des Visuellen, die außer dem Transport von Information eine wichtige Komponente der Bildaussage zu vergessen scheint: Atmosphäre. Wie wurde es 1962 formuliert: "Der alte Film ist tot." Nein, er lebt.
Joseph Vilsmaier wird Recht behalten. Millionen werden den Film sehen und ihm das nötige Argument liefern. Und wenn schon Marlene dann Ende des Jahres Deutsche Filmpreise einsacken wird, dann bitte wenigstens auch an Armin Rohde, dessen Emil Jannings wirklich Spaß macht und der als Beweis dafür stehen soll, dass es an den Darstellern ehrlich nicht gelegen hat.

Oliver Baumgarten