»MARVINS TÖCHTER«

Lustige Halbleichen

Wir sind alle am Leben - aber nicht alle haben es gemerkt

Scottt McPherson, der Autor, würde, wäre er nicht schon an Aids gestorben, seinen Tod zum Lächeln finden. Und Hume Cronyn, der im Film zum Bühnenstück, in dem er gar nicht vorkam, einen seit 20 Jahren im Sterben liegenden spielt, läßt sich von seinem kaputten elektrischen Krankenbett so grausam durchschütteln, daß es herzlos wäre, darüber nur zu Weinen. Diane Keaton darf, Leukämie-geschwächt, mitten in Disney-World zusammenbrechen - und sich von Goofy zum Erholen ins Haus von Mickey Mouse tragen lassen. Meryl Streep dagegen hat es schwerer: sie muß alle Erschütterung der Welt beim Reinigen ihrer Haarbürste darstellen. Am ärmsten aber ist der Zuschauer dran, der am Ende glücklich darüber sein muß, wie todgeweiht wir alle sind. Und traurig, weil wir selber sicher nicht so heiter über unsere Fehler hinaus- und in unsere Gefühle hineinwachsen werden.
Wenn auch wohl weniger dramatisch: gleich zu Beginn fackelt Leonardo DiCaprio (Johnboy goes Jimmy D.) seiner alleinerziehenden Mutter Meryl das Dach überm Kopf ab - und Tante Diane holt sich ihr Todesurteil bei Doc Bob DeNiro. Nur eine Knochenmarktransplanation von Verwandten könnte helfen, weshalb die auseinandergelebten Schwestern sich wiederfinden müssen. Was wiederum nur geht, wenn alle alten Wunden nochmal neu verbunden werden. Wer opferte sich für Vaters Schlaganfall auf? Wer zog zwei Söhne alleine groß, weil ihr Vater ein Schläger war? Was will die wunderbar warme Eröffnungs-Kamerfahrt durch einen Garten und das Pillendöschen-Sortiment sagen? Warum läuft auf allen Fernsehern der Handlung eine Seifenoper parallel als Kitsch- und Kritik-Verstärker? Weshalb kann die hinfällige Tante nicht für immer fast verliebt kreischend mit dem psychotischen Neffen, der ihr sein Knochenmark nicht gegen will, im Auto durch die Brandung rasen?
Mit Marvins Töchtern geht es mir, wie einer von ihnen mit dem jugendlichen Helden: "meine Gefühle für dich sind - mmh - wie eine Schüssel voll Angelhaken; immer wenn ich eins herausholen will, hängen die andern alle damit zusammen". Aber wenn man es nicht versucht, kriegt man nie einen Fisch.

WING