DIE SCHIFFSMELDUNGEN

Ins Leben zurück

Kevin Spacey mal nicht als Zyniker

Es beginnt unter Wasser. Ein kleiner Junge wird vom Vater hineingeworfen. Er strampelt gegen das Ertrinken, sinkt schließlich nach unten, während sein Kindergesicht im flaschengrünen See langsam erwachsen wird. Quoyle (Kevin Spacey) wäre damals am liebsten nie wieder aufgetaucht und bleibt auch als Erwachsener ein ewig Sinkender.
Eines verregneten Tages flüchtet eine Frau zu ihm ins Auto und legt ihn flach. Für Quoyle ist es die Liebe seines Lebens. Für Petal (Cate Blanchett) ein Gelegenheit von vielen. Die Ehe wird ein Fiasko. Schließlich kommt Petal mit dem Auto von der Straße ab und am gleichen Tag kündigen die Eltern auf dem Anrufbeantworter ihren Selbstmord an. Zwei Urnen auf dem Fernseher und eine 7jährige Tochter bleiben für den erstarrten Witwer übrig.
Gerade einmal zehn Filmminuten braucht Regisseur Lasse Hallström, um seine Hauptfigur im Unglück zu versenken. Danach beginnt das langsame Auftauchen. Stück für Stück. Einen ganzen Film lang. Quoyle kehrt mit Tante (Judi Dench) und Tochter in das Land seiner Vorfahren zurück. Neufundland ist eine Insel vor der Küste Kanadas, auf der der Wind so stark bläst, dass die Häuser mit dicken Drahtseilen festgezurrt werden müssen. Keine gute Gegend für Nichtschwimmer. Bei der örtlichen Provinzzeitung bewirbt sich Quoyle als Drucker und wird als Reporter eingestellt. Autounfälle und Schiffsmeldungen sind sein Ressort. Langsam findet er sich in die Arbeit ein. Noch langsamer beginnt er sich in die Kindergärtnerin Wavey (Julianne Moore) zu verlieben.
Auch wenn das therapeutische Konzept etwas durchsichtig erscheint, so überzeugt Lasse Hallströms Schiffsmeldungen - nach einem Roman von E. Annie Proulx - durch die eigenwillige Ausführung, mit der die altbekannte Reise back to the roots ins Bild gesetzt wird. Ohne spirituellen Hokuspokus wird die rauhe Küste Neufundlands zum mystischen Ort der Selbstfindung. Keine sentimentale Rückkehr in den Schoß der Familie, sondern ein Abrechnung mit traumatischen Erinnerungen.
Hallströms süßlicher Wohlfühlfilm Chocolat hat die eigentlichen Qualitäten des schwedischen Hollywoodregisseurs etwas in Vergessenheit gebracht. Sein offensiver Humanismus gibt den Figuren Zeit und Raum sich zu entfalten. Menschen sind bei Hallström auch immer Teil der Landschaft, durch die sie sich bewegen. Der Kontrast zwischen Quoyles Arme-Würstchenfigur und der gigantischen Naturkulisse wird mit leiser Ironie in Szene gesetzt. In Schiffsmeldungen zählen nicht die gewaltigen, persönlichen Umbrüche, sondern die Nuancen der Veränderung. Kevin Spacey ist gegen sein Zyniker-Image besetzt. Zu beobachten, wie das Leben in kleinen Portionen wieder zurückkehrt in sein Wasserleichengesicht, ist weitaus spannender, als mit ansehen zu müssen, wie sich Russell Crowe in Beautiful Mind zum Oscar grimassiert.

Martin Schwickert

Shipping News USA 2001 R: Lasse Hallström B: Robert Nelson Jacobs nach dem gleichnamigen Roman von E. Annie Proulx K: Oliver Stapleton D: Kevin Spacey, Julianne Moore, Judi Dench