MENACHEM UND FRED

Erinnern und Verdrängen

Eine Dokumentation über zwei Brüder, die aus Nazi-Deutschland fliehen mussten

Sie sind Brüder und trotzdem haben sie ihre gemeinsame Sprache verloren. Fred Raymes, der 1946 in die USA emigriert ist, und Menachem Mayer, der als überzeugter Zionist mit 13 Jahren nach Israel ging, behelfen sich mit einem Englisch, dem man immer noch anmerkt, dass es nicht als Muttersprache gelernt wurde.

Menachem und Fred hießen einmal Heinz und Manfred. Sie wohnten in Hoffenheim, einem kleinen, beschaulichen Ort in der Nähe von Heidelberg. Bis 1938 der örtliche SA-Führer und Lehrer Emil Hopp sie aus ihrem Haus verjagte und mit seiner Familie selbst dort Einzug hielt. Wenige Jahre später wird die Familie Mayer nach Südfrankreich in das Konzentrationslager Gurs deportiert. Den Eltern wird bald klar, dass die Kinder hier nicht lange überleben werden, und als sich die Chance bietet, die beiden Jungs in einem christlichen Waisenhaus unterzubringen, beschließen die Eltern, sich von ihren Kindern zu trennen.

Über 60 Jahre später stehen die Brüder auf der Straße, auf der sie vom Lastwagen aus den Eltern das letzte Mal zugewunken haben, und ringen mit den Tränen. Von dem ehemaligen Konzentrationslager sieht man nichts mehr. Kein Gedenkstein, nur eine Straße im wieder aufgeforsteten Wald. Die Spuren der Kollaboration sind in Frankreich getilgt worden.

Aber auch in Deutschland tut man sich mit der Erinnerung schwer. Als Menachem und Fred zum ersten Mal an dem Ort stehen, an dem einmal das Haus ihrer Familie stand, winkt die Bauersfrau ab. Irgendwann müsse auch mal Schluss sein. Sie sei auch vertrieben worden, und dann all die Bomben, die auf Deutschland gefallen sind.

Die Familie Hopp hat ein schlechtes Gewissen und möchte deshalb die deutsche Ausgabe des Buches finanzieren, in dem die Geschichte der Mayers und die letzten Briefe der Eltern aus dem KZ veröffentlicht werden. Anfangs überlegt man noch, ob der Name Emil Hopp aus der deutschen Übersetzung getilgt werden soll. Schließlich ist dessen Sohn Dietmar Hopp als Gründer des Software-Konzerns SAP einer der reichsten Männer Deutschlands. Die Hopps beschließen, offen mit der NS-Vergangenheit ihrer Familie umzugehen. Eine Gedenktafel wird in Hoffenheim errichtet, eine Lesung des Buches wird zum lokalen Event, und schließlich finanzieren die Hopps sogar das Zusammentreffen von Menachems und Freds Familien, die sich aus Israel und den USA kommend in Hoffenheim zum ersten Mal begegnen.

Ein Unwohlsein bleibt trotz der öffentlichen Versöhnung. "Meine Großmutter kam in die Gaskammer und aufgrund dieser Tatsache sitze ich hier heute in diesem 8-Sterne-Hotel", erzählt Menachems Tochter, die in der Nacht kein Auge zugetan hat.

Versöhnung ist ein schmerzhafter Prozess, das zeigt Ofra Tevets und Ronit Kertsners berührende Dokumentation Menachem und Fred sehr deutlich. Dabei überzeugt der Film vor allem durch die Vielschichtigkeit, mit der der Prozess der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit dokumentiert wird. Über Jahrzehnte haben die beiden Brüder versucht, die Erinnerung zu verdrängen und sich dabei gezielt voneinander distanziert. Ihre gemeinsame Suche nach der verlorenen Kindheit löst die Entfremdung voneinander nur langsam wieder auf.

Martin Schwickert

Menachem & Fred D 2008 R&B: Ofra Tevet, Ronit Kertsner K: Klaus Sturm