»THE GREEN MILE«

Hokuspokus im Todestrakt

Hier möchte man auch hingerichtet werden

Tom Hanks ist der Inbegriff amerikanischen Gutmenschentums. Ein fünfminütiger Auftritt von Hanks könnte jeden noch so sadistischen Horrorstreifen in ein humanitäres Rührstück verwandeln. Frank Darabonts The Green Mile dauert ganze drei Stunden, Tom Hanks spielt die Hauptrolle und ist zusammengerechnet etwa eine Stunde lang in Nahaufnahme sehen. Auf soviel porentiefe Gutherzigkeit muss man vorbereitet sein, wenn man eine Karte an der Kinokasse löst. Dabei könnte der Ort des Geschehens - der Todestrakt eines Südstaatengefängnisses im Jahre 1935 - kaum düsterer sein. Aber Paul Edgecombe (Hanks) und seine Kollegen sind ganz anders als all die anderen Gefängnisaufseher der Filmgeschichte. Mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen, einem vorbildlichen Personalschlüssel (5 Wärter auf 4 Häftlinge) und allerhand ethischen Grundsätzen versuchen sie, den Gefangenen eine würdevolle Vorbereitung auf den Tod zu ermöglichen. Aus dem Radio dudelt freundliche Jazzmusik, ein großes Spitzbogenfenster im Gefängnisflur strahlt sakrale Gemütlichkeit aus, und eine kleine dressierte Maus erwärmt die Herzen von Wärtern und Insassen. Keine Frage: Hier möchte man auch hingerichtet werden.
Aber natürlich gibt es auch Störfaktoren im harmonischen Todesstrafenalltag: ein sadistsich veranlagter Kollege, einen richtig bösen psychopathischen Killer - ganz zu schweigen von den grauenvollen Hinrichtungen auf dem elektrischen Stuhl, die Paul und seine guten Kerle mit großem Bedauern und noch größerer Gewissenhaftigkeit durchführen. Während die Verurteilten in langgezogenen Einstellungen so effektvoll dahinschmoren, fragt man sich wieder einmal, warum man sich immer diese Schlechte-Gewissen-Filme anschauen muss.
Richtig interessant wird es erst, als der schwarze Gefangene John Coffey eingeliefert wird. Ein Mann groß und kräftig wie ein Berg und vom Drehbuch mit einer vertrauenserweckenden Baby-Sklaven-Sprache ausgestattet. Coffey verfügt über übernatürliche Fähigkeiten. Der Gutste erweckt eine zermatschte Maus zu neuem Leben, heilt die Gattin des Gefängnisdirektors von totbringender Tumorerkrankung und befreit Paul von quälenden Prostatabeschwerden. Der Verdacht, dass hier ein Unschuldiger zum Tode verurteilt wurde, erhärtet sich mit jedem neuen Wunder.
Mit The Green Mile hat Frank Darabont ( Die Verurteilten ) versucht, den Bestsellerroman von Steven King kinogerecht aufzuarbeiten. Dabei sind die King'schen Fanatasy-Effekte auf Kosten menschelnder Dauerberieselung in den Hintergrund getreten. Der Alltag im Todestrakt und das komplexe Verhältnis zwischen Verurteilten und Aufsehern ist sicherlich ein spannendes Filmsujet - aber Darabonts Verquickung von spirituellem Hokuspokus und humanistischen Platitüden geht einfach am Thema vorbei. Auch wenn die Hinrichtungsszenen bis zur Schmerzgrenze ausgedehnt werden, dient die Todesstrafe wieder einmal nur als Trägersubstanz für naive Gefühlsduselei. Drei Stunden lang so vielen guten Menschen bei ihren guten Taten zuschauen zu müssen, ist eine Strafe, die keiner verdient.

Martin Schwickert