LES MISERABLES

Ehre, Liebe, Albernheit

Wolverine und Robin Hood duellieren sich mit dem Mund

Am Anfang ist das Kino stumm, ein Schrift-Insert erklärt uns, die Französische Revolution sei seit Jahren vorbei und nun sitze wieder ein König auf dem Thron. Welcher, wird nicht erwähnt, nur eine Trikoloren-Fahne liegt hoch symbolisch im Wasser, aus dem die Kamera klatschend auftaucht. Gischt bricht und wir sehen ein leck geschlagenes Schiff beim Versuch, das rettende Dock zu erreichen. Und wir hören müde Männer singen, Dutzende, Hunderte gar, die als Kettensträflinge den Kahn ins Trockene ziehen. Ganz vorne singt Hugh Jackman mit, und von dem Augenblick an hört das Gesinge nicht auf bis zum Ende. Les Miserables wird seit über 25 Jahren weltweit gespielt, gerne in der amerikanischen Fassung und immer als nahezu opernhaft ernste Kulturveranstaltung ohne gesprochene Zwischentexte wie im Musical und voller länglicher Monologe, in denen Held, Bösewicht, tragische Figur und Liebespaar ihre inneren Bewegungen ausplaudern, oder eben heraussingen. Das ist auf der Bühne Gelegenheit für so manches Kabinettstück, strengt bei Stimmen wie der von Hugh Jackmann und Russell Crowe aber etwas an. Zumal Regisseur Tom Hooper darauf bestand, den Gesang live bei der Filmaufnahme mitzuschneiden. Per Computertrick wurden bloß nachträglich die Mikrophone aus dem Bild gerechnet und die getrennt aufgenommene Musik hinzugemischt. Dabei entstand eine eigentümlich steife, künstliche Atmosphäre mit einigen Ausreißern ins geniale. Meist klebt die Kamera dicht an den Gesichtern, springt nur hin und wieder in den aufwendigen Kulissen herum, als sei Tom Hooper zwischenzeitlich entfallen, dass er gar keine Bühne hat.

Dafür hat der Zuschauer kein Programmheft und muss sich manchmal wundern, wer eigentlich wer ist und welche Motive er hat. Jean Valjean war 19 Jahre im Knast, wegen eines Mundraubs. Javert war sein Wärter, der entlassene Strafgefangene für nicht resozialisierbar hält. Valjean kommt verbittert frei, wird von allen schlecht, aber von einem Priester nett behandelt und wandelt sich zum Edelmann. Ein paar Jahre später hat er es, man weiß nicht wie, zu einem neuen Namen, einer sozial verantwortlichen Fabrik und einem Bürgermeisteramt gebracht. Javert wird sein Polizeichef und misstrauisch. Kenn' ich sie nicht?

Anne Hathaway arbeitet in Valjeans Fabrik, wird eher versehentlich entlassen, gerät ins Elend und ins Rotlicht und kann von Valjean nur zum Sterben gerettet werden. Aber nicht ohne ein oskarverdächtiges Solo. Zurück bleibt eine unversorgte Tochter, der Valjean nun sein Leben widmet. Derweil jagt Javert ihn weiter, und nochmal einige Jahre später treffen sich alle zu den Studentenunruhen wieder in Paris. Valjean gerät auf die Seite der Aufständischen, Javert schleicht sich da ein, um ihn zu fangen, wird enttarnt und von Valjean gerettet. Großes Dilemma-Duo. Und Russel Crowe muss einsehen, dass der Gauner ein edlerer Mensch ist als der Büttel des Gesetzes. Und Valjean muss einsehen, dass man vom Gutes tun nicht glücklich wird. Überhaupt sehen alle etwas ein, außer Sacha Baron Cohen und Helena Bonham Carter, die als Schlitzohren herumtollen und jeden beklauen, die Guten und die Bösen, die Reichen und die Armen.

Und Tom Hooper, der für seine gute Idee des Live-Gesangs einfach keine funktionierende Inszenierungsidee findet. Bis auf die eine, zum Schluss alle Toten zusammen auf die Barrikaden zu stellen und einen hoffnungsvollen Revolutionssong anstimmen zu lassen.

Wing

USA 2012. R: Tom Hooper B: William Nicholson, Alain Boublil K: Danny Cohen D: Hugh Jackman, Russel Crowe, Anne Hathaway, Amanda Seyfried, Eddie Redmayne