Mitternachtskinder

Ornamentales Schicksal

Die Verfilmung von Salman Rushdies gleichnamigem Bestseller

Als Saleem am 15. August 1947 genau um Mitternacht das Licht der Welt erblickt, tanzen die Menschen auf der Straße und lassen Feuerwerkskörper in den Himmel steigen. Denn die Stunde seiner Geburt ist auch die Stunde, in der Indien seine Unabhängigkeit von der britischen Kolonialherrschaft erlangt. Vom ersten Atemzug an ist Saleems Leben an die Geschichte seines Landes gekettet.

Das Schicksal tritt zum ersten Mal in Form einer Krankenschwester in Erscheinung, die aus einem klassenkämpferischen Impuls heraus zwei Babys in den Klinikbettchen vertauscht. So landet Saleem, der eigentlich das Kind eines bettelarmen Straßenmusikers ist, in einer wohlhabenden muslimischen Familie, während deren Sohn Shiva in Armut aufwächst.

Mit Mitternachtskinder verfilmt die indisch-kanadische Filmemacherin Deepa Mehta (Water) den gleichnamigen Roman von Salman Rushdie, der aus der Sicht des vertauschten Kindes ein Panorama über mehr als achtzig Jahre indischer und pakistanischer Geschichte spannt. Saleem wird zum Spielball des Schicksals und der umwälzenden historischen Ereignisse. Von der Unabhängigkeit Indiens über die Abspaltung des muslimischen Pakistans, dem Autonomiekampf in Bangladesh bis zur Notstandsdiktatur unter Indira Gandhi bewegt sich Saleem immer in der Brandung der geschichtlichen Ereignisse, die der Film genauso wie der Roman aus der verfremdenden Perspektive eines magischen Realismus zeigt.

Mehta findet für Rushdies surrealen Stil eine adäquate Bildsprache, verfängt sich allerdings dramaturgisch immer wieder in der ornamentalen Erzählstruktur der Vorlage, aus der Rushdie selbst das Drehbuch entwickelt hat.

Auf den ausschweifenden Gestus muss man sich einlassen, um die Qualitäten des Filmes zu erkennen, die vor allem in der Lust am wilden Fabulieren und einem grotesken Humor liegen. So wird hier etwa die ewige Rotznase zur wichtigsten Waffe des Antihelden. Damit kann er nicht nur Gedanken lesen, sondern auch telepatisch mit den anderen Mitternachtskindern kommunizieren, die zur gleichen Stunde geboren wurden und auf verschiedenste Weise ebenfalls an die Geschichte ihres Landes gefesselt sind.

Martin Schwickert

Midnight Children Kan. 2012 R: Deepa Mehta B: Salman Rushdie nach seinem gleichnamigen Roman K: Giles Nuttgens D: Satya Bhabha, Siddharth, Shahana Goswami, Rajat Kapoor