MOOLAADÉ

Modern im Kopf

Mit Zaubersprüchen gegen Genitalbeschneidung

Afrika ist bunt, Afrika ist grausam. In der Eröffnungsequenz bindet Ousmane Sembène, Afrikas ältester unabhängiger Filmemacher, mit einem langen Schwenk Idylle und Ideologie zusammen. Hübsch liegt ein Dorf da in der Sonne, fleißige Frauen gehen ihrem Tagwerk nach, Kinder spielen zwischen properen Häuschen - und vier verschüchterte Mädchen kommen auf den großen Hof. Sie haben Angst vor der Beschneidung und bitten um Zuflucht. Collé, die mittlere Ehefrau des abwesenden Hausherrn, spricht den traditionellen Zauberbann Moolaadé aus, und fortan darf niemand uneingeladen auf den Hof. Die überall herumlaufenden Hühner scheren sich natürlich nicht darum.
Da ist schon Ousmane Sembènes Volkstheater-Vokabular weitgehend zusammen. Ohne Umschweife erkennt man einen Teil der "Tradition" als falsch, ein anderer tritt plötzlich unerklärt als Hoffnungsträger auf, und mit ein zwei klugen Bildern packt Sembène immer wieder Humor und andere Zwischentöne in die recht thesenhafte Verhandlung.
Tradition und Moderne überkreuzen sich überall. Ein fliegender Händler bringt überteuertes Brot, schicke BHs und vor allem Batterien für die vielen Radios. Der Sohn des Bürgermeisters kommt aus Europa zurück und schwitzt ständig, bis er sich anpasst, umzieht und keine "Unbeschnittene" mehr heiraten will. Die Dorfältesten sammeln alle Radios von den Frauen ein, weil man vom Radiohören eh nur modern im Kopf werde - und die Frauen versammeln sich traurig, sie könnten ohne Musik nicht mehr einschlafen.
Im Zentrum bleibt aber die Frage der Klitoris-Beschneidung. Der Film nimmt eindeutig Partei, auch wenn er vielen Frauen im Film lange Zeit lässt, die Wahrheit zu erkennen. Die Traditionalisten, Frauen wie Männer, haben nur die schlechten Argumente (Unreine heiratet keiner, der Islam will es so), die Modernisten wissen, dass viele Mädchen daran sterben und dass der Islam es nicht will. Dass auch Sex eine Rolle spielt, deutet Sembène nur an. "Hast du schon mal mit einer Unbeschnittenen?" fragt ein alter Mann den anderen und rollt mit den Augen. Der andere guckt zurück und ist sich dann doch lieber sicher: "Das ist doch Gotteslästerung".
Sembène hat sein Handwerk in den 60ern an der Filmschule in Moskau gelernt, und in manchen Montagen erkennt man Eisensteins Einfluss noch immer. Ausführlich, singend und tanzend, bekennen sich nach einer Tragödie im Kulturkampf die Frauen des Dorfes zur selbstbestimmten Zukunft. Sogar ein Mann sieht etwas ein. Und absichtsvoll naiv bringt uns ein stummer Schnitt am Ende von der alten Moschee zum Turm der neuen Hoffnung: einer Fernsehantenne.

WING

Senegal 2004 R & B: Ousmane Sembène; K: , Dominique Gentil; D: Fatoumata Coulibaly, Maimouna Hélène Diarra, Salimata Traoré, Dominique T. Zeida