MÜNCHEN

WAR ON TERRORISM
Steven Spielberg untersucht die Macht des Terrors und die Sinnlosigkeit von Rachefeldzügen

1972 war ein Jahr, in dem sich die Welt nachhaltig veränderte. Am 30. Januar hatten britische Fallschirmjäger im nordirischen Derry in eine Bürgerrechtsdemonstration hineingeschossen und legten damit den Grundstein für einen blutigen Konflikt, der das Land bis ins nächste Jahrtausend beschäftigen sollte. Am 2.Juni waren in Frankfurt Andreas Baader und wenig später auch Ulrike Meinhof verhaftet worden, was zu einer weiteren Radikalisierung des bewaffneten Kampfes der Roten Armee Fraktion führte. Am 17. Juni beginnt mit dem Einbruch in das Washingtoner Hauptquartier der demokratischen Partei die Watergate-Affäre. Und dann kam München.
Die Augen der Weltöffentlichkeit waren auf die Sommer-Olympiade gerichtet, als am 5.September ein achtköpfiges palästinensisches Terrorkommando in das Olympische Dorf eindrang und elf Mitglieder des israelischen Teams als Geiseln nahm. Die deutsche Polizei war der Situation nicht gewachsen, bei der Befreiungsaktion wurden alle Geiseln sowie fünf Palästinenser getötet. Die Fernsehbilder der Schießerei auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck gingen live um die Welt und hatten auf die 900 Millionen Zuschauer eine ähnlich traumatisierende Wirkung wie die Ereignisse des 11. Septembers 2001.
Diese Bilder sind für München nur der Ausgangspunkt der Geschichte. Denn ihm geht es nicht um das spektakuläre historische Ereignis, sondern um die nachhaltigen Auswirkungen des palästinensischen Terroranschlages. München verfolgt die Geschichte einer Undercover-Gruppe, die vom israelischen Geheimdienst "Operation Zorn Gottes" genannt wurde und ohne offizielle Rückendeckung elf palästinensische Hintermänner zur Strecke bringen soll.
Dabei entsprechen die fünf Männer ganz und gar nicht den Killer- und Agentenklischees wie man sie aus James Bond-Filmen kennt. Der ehemalige Mossad-Offizier Avner (Eric Bana) wurde zwar von Ministerpräsidentin Golda Meir (Lynn Cohen) persönlich für die Mission auserwählt, aber seine Kollegen sind alle Zivilisten. Der Südafrikaner Steve (Daniel Craig) fährt den Fluchtwagen, der deutsche Antiquitätenhändler Hans (Hanns Zischler) zeichnet für die Fälschung der Dokumente und die Buchhaltung des Unternehmens verantwortlich, der belgische Spielzeugmacher Robert (Mathieu Kassovitz) wurde zum Sprengstoffexperten umgeschult, und der ruhige Pfeifenraucher Carl (Ciaran Hinds) übernimmt die Beseitigung der Spuren am Tatort.
Beim ersten Mord an einem palästinensischen Intellektuellen in Rom stehen die Attentäter noch mit gezogener Pistole und zittrigen Händen vor ihrem Opfer. Später in Paris wird beinahe die Tochter der Zielperson mit in die Luft gesprengt. In Zypern ist der Sprengstoff stärker als erwartet und verletzt zahllose unbeteiligte Hotelgäste. Eine Operation in Beirut endet schließlich in einer ziellosen Schießerei.
In etwas überdimensionierten 164 Filmminuten zeigt Spielberg wie sich der moralisch begründete Rachefeldzug immer mehr verselbstständigt und die politische Gewalt ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten entwickelt.
Exemplarisch führt München an dem idealistischen Geheimdienstoffizier vor, wie das Morden, Verfolgen und Verfolgt-Werden die psychische Struktur und politische Moral zersetzt. Avner endet als nervliches Wrack. Für jeden Namen, der auf der Todesliste durchgestrichen wurde, sind Nachfolger gekommen, die mit größerer Radikalität gegen Israel ins Feld ziehen. Sehr plastisch zeigt Spielberg, wie sich Gewalt ausbreitet, und arbeitet seine politische Parabel als persönliches Drama, aber auch als äußerst spannenden Geheimdienst-Thriller aus.
Ein undurchsichtiger französischer Pate (Michael Lonsdale) versorgt die Attentäter gegen gutes Geld mit den Informationen über die Zielpersonen. Als ehemaliger Resistance-Kämpfer und überzeugter Nihilist verweigert er jegliche Zusammenarbeit mit staatlichen Auftraggebern und liefert das philosophische Gegengeweicht zum ideologischen Übereifer seiner Zeit. Figuren wie diese retten den Film vor plakativer Lehrstückhaftigkeit.
Dennoch formuliert der Meister des politischen Mainstreamkinos seine Lektion klar und deutlich aus, indem er seinen Protagonisten stellvertretend für den Staat Israel ins moralische Dilemma und in die politische Sackgasse führt.
Wenn Eric Bana das Schlussbild verlässt und die Kamera auf die Skyline Manhattans mit den Twintowers schaut, verweist Spielberg mit großem filmischen Ausrufezeichen darauf, dass sich die Spirale der Gewalt weiter dreht.

Martin Schwickert
Munich USA 2005 R: Steven Spielberg B: Tony Kushner, Eric Roth; n. d. Buch von George Jonas K: Janusz Kaminski D: Eric Bana, Daniel Craig, Ciaran Hinds, Mathieu Kassovitz, Hanns Zischler