Mutter und Sohn

Mamas Kreise

Eine Übermutter und ihr erwachsener Sohn

Cornelia würde alles für ihren Sohn tun, außer das, was ihm wahrscheinlich am besten täte: ihn einfach nur in Ruhe lassen. Aber Barbu ist der Mittelpunkt ihres Lebens, um den sie unaufhörlich mit großer Betriebsamkeit kreist. Der Junge ist mittlerweile Anfang dreißig und hat sich immer noch nicht aus den überfürsorglichen Fängen seiner Mutter befreien können. Wenn die beiden miteinander reden, dann klingen sie wie zwei verfeindete Kriegsparteien, die in langen Grabenkämpfen gelernt haben, jede Bewegung des Gegners vorherzusehen. Cornelia überschüttet ihren Sohn mit Ratschlägen, ungefragten Gefälligkeiten und all den vielen, kleinen, genetisch vorprogrammierten Routinefürsorglichkeiten, die den Sohn in den Wahnsinn treiben. Barbu reagiert mal mit zielloser Wut, mal mit willenloser Kapitulation. In seinem Film Mutter und Sohn, der bei der diesjährigen Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde, räumt der rumänische Regisseur Calin Peter Netzer gründlich mit dem Mythos der Übermutter auf.

Cornelia ist die unangefochtene Hauptfigur dieses Films und in jeder Szene omnipräsent. Mit blondiertem Haar, Pelzmantel, goldenen Ketten und Klunkern ist sie unverkennbar ein Mitglied der rumänischen Oberschicht, die ihren Reichtum wie eine Rüstung gegen den ökonomischen Verfall des Landes vor sich herträgt. Als Barbu bei einem riskanten Überholmanöver einen vierzehnjährigen Jungen totfährt, verschwendet Cornelia kaum einen Gedanken an das Unfallopfer und beginnt einen generalstabsmäßigen Feldzug gegen die strafrechtliche Verfolgung ihres Sohnes. Als sie auf dem Polizeirevier auftaucht, sind die wichtigsten Telefonate schon geführt, die Vorgesetzten ausgemacht, das gut funktionierende Netz der Beziehungen wird in Gang gesetzt. Beamte, Gutachter und der Hauptbelastungszeuge werden mit Zuwendungen und Anweisungen gefügig gemacht und der unter Schock stehende Sohn erst einmal wieder ins elterliche Haus verfrachtet. Das Unglück ist für Cornelia die Gelegenheit zu einer neuen Machtergreifung im Leben ihres Sohnes, der sich ihr zu entziehen versucht und schließlich mit einem radikalen Schritt endlich den Bruch wagt.

Mit psychologischer Genauigkeit erkundet Netzer die pathologische Struktur einer Mutter-Sohn-Beziehung und zeichnet im Seitenblick ein Bild von den sozialen Zerwürfnissen der rumänischen Gesellschaft, in der die begüterte Oberschicht den Rechtsstaat nach ihren Bedürfnissen beugt.

Martin Schwickert

Pozitia Copilului Rum. 2013 R: Calin Peter Netzer B: Razvan Radulescu, Calin Peter Netzer K: Andrei Butica D: Luminita Gheorghiu, Bogdan Dumitrache, Ilinca Goia