MY SWEET HOME

Gestrandet in Berlin

Die Multikulti-Gesellschaft ist vorwiegend traurig

Filippos Tsitos My Sweet Home fängt dort an, wo andere Filme ins romantische Finale abschwenken: mit einem Heiratsantrag auf verregneter, nächtlicher Straße.
Eigentlich wollte der Amerikaner Bruce (Harvey Friedman) endlich weg aus Berlin. Wieder zurück nach Cali-fuckin-fornia. Dann ist ihm Anke (Nadja Uhl) dazwischen gekommen, in die er sich auf seine sehr ernste Weise verliebt hat. Bruce geht auf die 40 zu und hat in seinem Leben nichts auf die Reihe bekommen. Jetzt will er endlich einmal etwas richtig machen, dem Zynismus und dem unentschlossenen Hin und Her ein Ende bereiten. Deshalb soll jetzt verdammt noch mal geheiratet werden.
Während Bruce seiner Freundin keuchend hinterherläuft, wägt Anke auf dem hohen Fahrrad sitzend das Angebot skeptisch ab. Weshalb soll sie einem vertrauen, den sie erst seit sechs Wochen kennt? Ihr letzter Mann hat sie schließlich samt kleiner Tochter auch nach ein paar Jahren sitzen gelassen. Schlussendlich stimmt sie dem Antrag zu, weil Liebe eben auch eine Frage der Entscheidung ist.
So unromantisch kann man wahrscheinlich nur im rauhen Berlin um die Hand einer Frau anhalten. In My Sweet Home ist Berlin eine Stadt der Verlorenen. Ein wenig Halt finden einige am Tresen einer Eckkneipe. "Globus" heißt das Lokal, in dem Bruce kellnert. Eigentlich war dort am Vorabend der Hochzeit ein Dinner zu Zweit geplant, aber dann werden die Tische zu einem improvisierten "German Polterabend" zusammengerückt. Um das Paar versammelt sich ein bunter Querschnitt der Multikulti-Hauptstadt: zwei zerstrittene russische Straßenmusiker, ein pakistanischer Feuerzeugverkäufer, ein marokkanischer Bauarbeiter, der seit Jahren versucht, aus Deutschland wegzuheiraten, ein brasilianischer Familienvater, dem gerade die Aufenthaltserlaubnis entzogen wurde, ein deutscher Unsympath mit seiner koreanischen Katalogfrau und der junge Kneipenbesitzer, der von einem besseren Leben im fernen Amerika träumt. Getrunken wird auf das Brautpaar und die unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Die Sprachen vermischen sich im Zigarettenqualm. Die einen wollen weg, die anderen dürfen nicht bleiben. Niemand scheint da zu sein, wo er hingehört, und gerade das ist allen gemeinsam, Fernweh und Heimatverklärung. Der Telefonanruf bei den Eltern wird zur Mutprobe für die Entwurzelten.
Chaotisch, trostlos, überdreht und verzweifelt gut gelaunt ist das Bild, das der Berliner Filmhochschulabsolvent Fillipos Tsitos in seinem Spielfilmdebüt von der multikulturellen Gegenwart seiner Stadt zeichnet. Im dem Nebeneinander der widersprüchlichen Stimmungen liegt die Stärke von My Sweet Home . Harvey Friedman bringt als krisengeplagter Enddreißiger die selbstzerstörerische Impulsivität seiner Figur auf den Punkt. Nadja Uhl besticht als selbstbewusste Großstadtgöre. In den Nebenrollen verkommen die Charaktere allerdings oftmals zum multikulturellen Mobiliar. Das Konzept der Vielfalt wird für den jungen Regisseur zur Falle, weil er zu viele Biografien anklickt, ohne sich wirklich auf die Figuren einlassen zu können. Nur wenige Filmemacher beherrschen das Chaos als Kunstform - Filippos Tsitos gehört noch nicht dazu.

Martin Schwickert

D/GR 2000 R&B: Filippos Tsitos K: Hanno Lentz D: Harvey Friedman, Nadja Uhl