Nachtzug nach Lissabon

Schwermut unterwegs

Eine behäbige und letztlich gescheiterte Literaturverfilmung

Pascal Merciers Roman Nachtzug nach Lissabon ist nicht nur ein Bestseller, der in 32 Sprachen übersetzt und allein im deutschsprachigen Raum mehr als zwei Millionen mal verkauft wurde, sondern auch ein Roman, der bei seinen Lesern eine fast schon kultische Verehrung ausgelöst hat. Die Reise des einsamen und gebildeten Lateinlehrers, der sein stagnierendes Leben in der Schweiz, einem spontanen Impuls folgend, verlässt und sich mit dem Zug gen Süden aufmacht, verbindet die Ausbruchssehnsüchte, die ein jeder in sich tragen mag, mit gut dosierten philosophischen Exkursen zu einem Selbstfindungsprozess, der bei aller intellektuellen Erhabenheit für eine breite Leserschaft immer noch genug Andockpunkte bietet.

Bille August hat den Roman jetzt fürs Kino adaptiert, als europäische Großproduktion mit einem Budget von 7,5 Millionen Euro und einer hochkarätigen Schauspielerriege. Jeremy Irons spielt den introvertierten Altphilologen Raimund Gregorius, der in Bern eines Morgens auf einer Brücke eine Frau entdeckt, die sich in die Fluten stürzen will, wovon Raimund sie in einem Anfall von Beherztheit abhält. Schon bald ist die Unbekannte wieder verschwunden, und Raimund hält nur noch ihren Mantel im Arm, in dem Gregorius ein Buch des portugiesischen Arztes und Philosophen Amadeu de Prado findet, dessen Zeilen ihn tief berühren. Da sich in dem Band praktischerweise auch noch eine Fahrkarte für den Nachtzug nach Lissabon befindet, folgt Raimund seiner Intuition und macht sich auf nach Portugal, um mehr über den Autor des Buches herauszufinden.

Der ist allerdings längst verstorben, auch wenn seine Schwester Adriana (Charlotte Rampling) von ihm spricht, als wäre er noch am leben. Über die Augenärztin Mariana (Martina Gedeck) lernt Raimund deren Onkel Joao (Tom Courtenay) kennen, der mit Amadeu gegen das Salazar-Regime kämpfte. Der Mediziner geriet jedoch selbst ins Visier des Widerstands, als er seinen ärztlichen Pflichten folgend dem gefürchteten Chef der Geheimpolizei Mendez (Adriano Luz) das Leben rettete.

Und so taucht Raimund bei seiner Recherche immer tiefer in Amadeus Leben ein, in dem der politische Kampf gegen die Diktatur mit einer tragischen Liebesgeschichte verflochten ist.

In einer gediegenen Rückblendendramaturgie gleitet Bille Augusts Verfilmung zwischen den Erzählsträngen hin und her, entblättert auf der Vergangenheitsebene nach dem vorgegebenen Zwiebelverfahren sukzessive die Geheimnisse im Leben des Widerstandskämpfers, um dann in der erzählten Gegenwart wieder Jeremy Irons als dekorativen Spurensucher durch die Straßen des schönen Lissabon wandeln zu lassen.

Äußerst behäbig hakt der Film die Plotpunkte des Romans ab, findet aber für das Grundproblem bei der Adaption des literarischen Textes, der zu einem Großteil aus den inneren Monologen seines Protagonisten besteht, keine befriedigende Lösung. Nur punktuell wird eine Erzählerstimme aus dem Off eingeblendet, alles andere lastet auf den Schultern von Jeremy Irons. Mit der Reduktion auf die Plotverwertbarkeit arbeitet August unfreiwillig die Schwächen der Vorlage heraus. Die liegen vor allem in der klischeehaften Gestaltung der Frauenfiguren, die nicht mehr als Zuarbeiterinnen im männlichen Selbstfindungsprozess sind.

Martin Schwickert

Night Train to Lisbon D/Ch/P 2013 R: Bille August B: Greg Latter, Ulrich Herrmann nach einem Roman von Pascal Mercier K: Filip Zumbrunn D: Jeremy Irons, Martina Gedeck, Charlotte Rampling