WENN TRÄUME FLIEGEN LERNEN

About a Boy
Zum Heulen schön: Johnny Depp als Michael Jackson

Der deutsche Titel des Films Finding Neverland ist natürlich ein Verbrechen, der Gedanke an die wohl etwas zu sehr kinderliebende Kunstfigur der Gegenwart aber liegt schon tief in der Story von 1904: ein sacht verschrobener Medien-Star schleppt kleine Jungs auf seine Farm, ist ihnen herzlich zugetan, und schöpft aus ihren Abenteuer-Spielen die kreative Kraft für einen Bühnenerfolg. Ausserdem schläft er mit seinem Hund.
Es ist James Barrie, der "Vater" von Peter Pan. Marc "Monster's Ball" Forster lässt ihn mit dem Gesicht von Johnny Depp hinter dem Vorhang eines Londoner Salontheaters stehen, in dem gerade ein Stück durchfällt. Auf der Suche nach einem neuen Ansatz gerät Barrie an eine schöne Witwe (Kate Winslet) und ihre vier Söhne. Schnell wird Onkel James deren Spielkamerad, bald rümpft die feine Gesellschaft die Nasen (besonders Julie Christie als viktorianische Oma). James aber lebt seine Kinder-Träume immer ausführlicher aus, läuft in Indianerbemalung und mit einer toten Ente unterm Arm durch die Stadt, und Marc Forster schiebt Illusion und Wirklichkeit im Film auf mehreren Ebenen ineinander. Einmal etwa stehen Barrie und seine Ehefrau (Radha Mitchell) vor ihren getrennten Schlafzimmern: hinter ihr fällt die Tür dumpf ins Schloss, vor ihm aber tut sich eine zauberhafte Parklandschaft auf.
Der ewige Junge Depp ist die "natürliche" Gestalt für das Ideal, nicht erwachsen zu werden (der echte Barrie war ein Hutzelzwerg), sein Impressario ist Dustin Hoffman, der bei Spielberg vor Jahren den bösen Käptn Hook gab.
Alles ist falsch, und fast alles ist richtig. Dies ist kein Bio-Pic, aber die Welt wäre eine schönere Geschichte, wenn "Peter Pan" so erfunden worden wäre. Nicht zuletzt als Lebens-Hilfe für Kate Winslets Film-Sohn Peter (Freddie Highmore), der am Anfang jede Fantasie für Lüge hält und sich am Ende von der Fantasie über den Tod der Mutter hinweg trösten lässt.
Die Realität ist anders. Das Barrie-Stück am Anfang des Films fiel nicht durch, Kate Winslets Vorbild starb nicht nach einer Privatvorstellung von "Peter Pan" am Krankenbett, ihr echter Sohn Peter aber sprang 1960 vor eine U-Bahn, weil er es nicht mehr ertragen konnte, mit Pan verwechselt zu werden.
Die harten Fakten verschweigt der Film, den dunklen Ton hinter seinem Märchen aber stellt er deutlich aus: die Einbildungskraft rettet uns für das Leben, aber nicht vor dem Sterben. Der Kitsch, den Forster behutsam ausbreitet, hat einen Haken. Kunstvollerweise mindestens diesen: das tickende Krokodil, das uns alle dermaleinst holt, wird nur tuschelnd erwähnt.

WING
Finding Neverland. USA 2004. R: Marc Forster, B: David Magee, nach dem Bühnenstück von Allan Knee, D: Johnny Depp, Kate Winslet, Julie Christie, Dustin Hoffman, Freddie Highmore