THE NEW WORLD

Die Natur des Menschen
Terrence Malick benutzt eine bekannte Legende für filmische Reflektionen

Wer bin ich?", fragt eine raue, müde Stimme, während wir auf der Leinwand Weizenfelder sehen, die sich zu einschmeichelnder Musik im Winde wiegen. Langsam weichen die Weizenähren den glitzernden Reflektionen von Sonnenstrahlen auf einer Wasseroberfläche, während die Stimme fragt: "Warum führe ich eigentlich Selbstgespräche?"
Nein, dies ist keine Szene aus Terrence Malicks The New World, sondern aus einer äußerst gelungenen Parodie des Films auf der Satirewebseite moviejuice.com, die treffend beschreibt, um was es sich hier handelt: eine langsame, philosophische Betrachtung einer Geschichte, die uns der Regisseur nicht wirklich oder zumindest nicht traditionell erzählen möchte.
Das müsste er eigentlich auch nicht, schließlich ist Kinogängern die Liebesgeschichte zwischen dem Eroberer John Smith und einer Indianerprinzessin aus dem Disney-Film Pocahontas bekannt und hört sich (nach Abzug der Songs, putziger Waschbären und des Happy Ends) ungefähr so an: als vor knapp 400 Jahren die ersten Siedler in Jamestown im späteren Staate Virginia landeten, verliebten sich Kapitän John Smith und eine junge Indianerprinzessin ineinander. Ihre Liebe stand unter einem schlechten Stern, da die anfängliche Neugier, mit der Siedler und Ureinwohner einander beäugten, schon bald großem Misstrauen wich - einem gesunden Misstrauen, zumindest was die Indianer betraf, die schon bald den Gewehrkugeln ihrer einstigen Gäste und neuen Herren zum Opfer fallen sollten.
Wie schon bei Der schmale Grat (1999), der vor dem Hintergrund der Schlacht um Guadalcanal spielte, setzt Malick hier eine historische Begebenheit mit äußerster Detailtreue in Szene, um sie dann als Hintergrund für eine philosophische Abhandlung über die Natur des Menschen zu nutzen. Mit schönen, kraftvollen Bildern malt er hunderte von kleinen Gemälden der damaligen Geschehnisse und verbindet sie mit kunstvollen Schnitten, die aber so wenig narrativ sind, dass man problemlos den Faden verlieren oder wichtige Handlungspunkte - wie die Abreise von Smith, die Flucht von Pocahontas oder nahende Verstärkung inmitten eines Kampfes - leicht übersehen kann. Stattdessen setzt er auf Voiceovers seiner Hauptdarsteller - in diesem Falle Colin Farrell und der bei den Dreharbeiten 14järhigen Q'orianka Kilcher - die ihre Gedanken preisgeben und Fragen stellen, die niemals beantwortet werden sollen.
All dies tut Malick, der nach Badlands (1973) und Tage des Himmels (1978) für 20 Jahre fast spurlos verschwand, mit solcher Kunstfertigkeit, dass es schwer fällt, seinem Werk nicht zumindest teilweise etwas abzugewinnen. Da es aber noch viel schwerer fällt, The New World über seine mehr als zweistündige Spielzeit hinweg zu folgen, kommt man nicht umhin, vor dieser erneuten Übung in unfilmischer Philosophie zu warnen.

Karsten Kastelan
USA 2005 R: Terrence Malick. B: Terrence Malick. K: Emmanuel Lubezki. D: Colin Farrell, Christian Bale, Q'Orianka Kilcher, Christopher Plummer, Wes Studi, David Thewlis