»ONE NIGHT STAND«

Liebe einer Nacht

Bemüht und unentschlossen: Mike Figgis'und die Geschichte vom schnellen Sex

Max (Wesley Snipes) spricht direkt in die Kamera und skizziert seine Lebenssituation: erfolgreicher Werbefilmer, glückliche Ehe, reizende Kinder, schönes Haus. Er habe alles, was er will. "Mir gehts gut" sagt er, und man glaubt es ihm sogar. Jetzt ist er gerade von L.A. nach New York gekommen, um seinen schwulen Freund Charlie (Robert Downey Jr.) zu besuchen. Beide hatten hier damals eine wilde Zeit miteinander, bevor sich Max an der Westküste seine bürgerliche Existenz aufbaute. Charlie hat AIDS, und Max ist hier, um sich mit ihm zu versöhnen und seine Hilfe anzubieten. Diese Reise in die Vergangenheit wird Max abgesichertes Leben nachhaltig durcheinanderwerfen. In der Hotelhalle, kurz vor seiner Abreise, lernt er Karen kennen. Max verpaßt seinen Flug, beide verbringen den Abend und schließlich auch die Nacht miteinander. Ein "One night stand" soll es bleiben, beide kehren am Morgen in ihr verheiratetes Leben zurück, ohne Telefonnummern auszutauschen. Nach der Reise ist für Max nichts mehr, wie es vorher war. Seinem Leben scheint die nötige Würze zu fehlen. Weder Sex noch Job machen ihm Spaß und er verwickelt sich immer wieder in Streitigkeiten mit Geschäftskollegen oder seiner Ehefrau. Ein Jahr später kehrt Max wieder nach New York zurück, weil Charlie im Sterben liegt und er ihn die letzten Wochen begleiten möchte. Im Krankenhaus trifft er wieder auf Karen, die - wie sich herausstellt - Charlies Schwägerin ist.
Zum Glück erzählt One night stand nicht nur eine Geschichte. Die Love-Story zwischen Max und Karen und das abgedroschene Klischee der Liebe auf den ersten Blick ist nämlich keineswegs in der Lage, diesen Film zu tragen. Dabei gibt sich Mike Figgis ( Leaving Las Vegas ) alle Mühe, herzzerbrechende Bilder zu formen, ohne auf die gängigen Hollywoodtableuas zurückzugreifen. Auch der Soundtrack greift emotional in die Vollen, aber was hilfts, wenn die Chemie, wie hier zwischen Wesley Snipes und Nastassja Kinski, so gar nicht stimmt. Nastassja Kinski hat gerade mit blondiertem, mittelgescheiteltem Haar wieder einmal ein Come-Back. Mike Figgis scheint mehr auf die optische Wirkung seiner Schauspielerin zu setzen, denn für eine Hauptfigur hat die Kinski auffallend wenig Dialog und an der Seite des omnipräsenten Wesley Snipes verblaßt ihre Figur zunehmend. Die großen Gefühle und die magische Anziehung zwischen Max und Karen bleiben bloße Behauptung.
Vielleicht hätte Mike Figgis seine zweite Geschichte, nämlich die von Max und Charlie mutiger erzählen sollen. Hier bleibt es nur bei Andeutungen. Ob die beiden mal etwas miteinander hatten, bevor Max familiengründerisch tätig wurde, wird nicht verraten. Von einer "wilden Zeit" ist da die Rede, Eifersüchteleien werden angedeutet, ein homophober Geschäftsfreund wird von Max zurechtgewiesen. Es fällt allerdings ins Auge, daß die Intensität, mit der sich Max und sein an AIDS erkrankter Freund in dessen letzten Tagen begegnen, deutlich glaubwürdiger in Szene gesetzt wird als die Leidenschaft zwischen Max und Karen. Hier fließen die Tränen, hier rascheln die Papiertaschentücher im Kinosaal, ohne daß man das Gefühl hat das Thema AIDS als modisches Beiwerk in die Story hineindrappiert wurde. Eigentlich wird ein Film wie One night stand erst durch diese dramaturgische Schieflage interessant. Ein Familienvater, der zu seinem Ex-Lover zurückkehrt, um sich mit ihm zu versöhnen und dessen bürgerlich heterosexuelles Sicherheitsgefüge durch den sterbenden Freund ins Wanken gerät - das ist auf jeden Fall die interessantere Geschichte. Aber die traut sich Mike Figgis ja nicht zu erzählen. Schade eigentlich.

Martin Schwickert