NINE

Freie Sicht

Eine Leibwäsche-Schau mit Gesang und überforderten StarsNine ist ein Bumerang im postmodernen Kulturrecycling. In den 80ern verwandelte Arthur Kopit den Kinoklassiker 8 1/2 (1963) von Frederico Fellini angereichert mit Bezügen zur Biografie des italienischen Regiemeisters zu einem Broadway-Musical. Nach einer erfolgreichen Wiederaufnahme im Jahr 2003 kommt das cineastisch inspirierte Musiktheaterstück nun unter der Regie von Rob Marshall (Chicago) wieder zurück auf die Leinwand.

Im Zentrum der Geschichte steht ein Filmemacher in der Schaffenskrise. Guido Contini (Daniel Day-Lewis) hat zwar schon viel Geld für eine gigantische Filmkulisse ausgegeben, aber noch nicht eine Zeile des Drehbuchs zu Papier gebracht. Auf der Pressekonferenz zieht er sich mit schnippischem Charme aus der Affäre und flüchtet schließlich aus Rom in einen Kurort am Meer.

Neben der Presse und dem Produzenten sind es vor allem die zahlreichen Frauen seines Lebens, die ihm zuleibe rücken. An den Auftritten der Frauen gliedert sich dann auch die dramaturgische Struktur des Musicals. Denn mehr als eine Musen-Nummern-Revue hat Marshall nicht auf die Beine gestellt. Da sind Penélope Cruz als heimliche Geliebte mit einer Vorliebe für Mascara und Seidenstrümpf, Marion Cotillard als langjährige Ehefrau, die ihrem untreuen Gatten nicht länger den Rücken stärken will, Nicole Kidman als Anita Ekberg-Reinkarnation und unumstrittener Star der Contini-Filme.

Bei einer solchen Anhäufung von Schauspielprominenz sollte eigentlich nicht viel schief gehen können. Aber nicht jeder hoch dekorierte Oscarträger ist auch gleich ein Musical-Star. Daniel Day-Lewis etwa ist nachweislich ein erstklassiger Mime, aber hier eine vollkommene Fehlbesetzung. Viel zu schwerblütig spielt er die Rolle, die Marcello Mastroianni in 8 1/2 verkörperte. Ihm fehlen die ironische Distanz des Musicals und vor allem die Stimme. Man ist dankbar, dass er nur eine Gesangseinlage absolvieren muss. Statt auf Charaktere setzt Marshall auf Strapse. Penélope Cruz hat einen "ußerst aufreizenden Auftritt als hungrige Geliebte, aber ihre Figur bleibt trotzdem nicht mehr als eine Pin-Up-Girl-Fantasie. Nun gehört die freie Sicht auf Damenbeine sicherlich zum Genre, aber in Nine ist die Reizwäscheüberflutung ein allzu offensichtliches Ablenkungsmanöver, das die Banalität der Künstlerkrisen-Story, die leblosen Charaktere und die filmische wie choreografische Konzeptlosigkeit nur sehr notdürftig überdeckt.

Martin Schwickert

USA 2009 R: Rob Marshall B: Michael Tolkin, Anthony Minghella K: Dion Beebe D: Daniel Day-Lewis, Marion Cotillard, Penélope Cruz