»NOWHERE«

Leben von hinten

Gregg Araki präsentiert den letzten Teil seiner Teen-Apocalypse-Trilogie

Wäre Charles Bukowski ein Kind der 90er gewesen und wäre er statt Schriftsteller Regisseur geworden, vielleicht hätte er einen Film wie Nowhere gedreht.
Was den Film von Gregg Araki mit den Werken des amerikanischen Schmuddelautors verbindet, ist die Radikalität, mit der die jeweilige Zeitströmung ins Überformat potenziert wird und eine gewisse Affinität für die Toiletten-Seiten des Lebens. Klos sind Haupthandlungsorte in Arakis surrealem Zeitgeistportrait aus der In-Szene von L.A.. Hier wird gequatscht und geflirtet, gestritten und kopuliert, geschminkt und erbrochen - Gregg Araki filmt den Glanz der Extasy-Party-Szene am liebsten von hinten. Eine Geschichte im eigentlichen Sinne gibt es nicht, ein grobes Handlungsgerüst allenfalls.
Der 18jährige Dark Smith (James Duval) ist fest entschlossen seinen Tod mit einer Handicam festzuhalten und bis es soweit ist filmt er ein wenig in seinem Leben herum. Verzweifelt sucht er nach der einzig wahren, großen Liebe und ist damit im Sodom und Gomorra der exaltierten Party-Subkultur völlig fehl am Platz. Seine Freundin Mel (Rachel True) machts auch gerne mit ihrer Geliebten Lucifer (Kathleen Robertson) und auch der Rest der Belegschaft fröhnt dem exzessiven Lifestyle. Ob Harley-Byker, Junkie, Zahnspangen-Girl, SM-Gespielin, gepiercter Kokser oder Surf-Boy - alle scheinen auf der Suche nach dem ultimativen Kick. Die Fassade wird auf Hochglanz poliert, dahinter gähnt drohend die Leere. Im Szene-Gewirr mischen sich esoterisches Untergangsgefasel, bulemistisches Tortenwettessen, perverse Spielchen, zarte Flirts und allseitiger Drogenkonsum zu einem abgedrehten filmischen Cocktail. In grellen Farben und schnellen Schnitten schreien uns die Bilder von der Leinwand entgegen. Aliens zappen sich ins Programm und die Kulisse gleicht einem schrillen, surrealen Soap-Opera-Ambiente. Das alles ist hochmodern und nicht immer schön anzusehen und in Details auch ziemlich ekelig. An Blut, Tomatensoße und Erbrochenem wird nicht gespart.
Gregg Araki gilt als Enfant Terrible der US-Filmszene. Ein Ami-Schlingensief sozusagen. Nach Totally F***ed Up und The Doom Generation legt er mit Nowhere den letzten Teil seiner Teen-Apocalypse-Trilogie vor. L.A. ist hier eine Stadt voller Berufsjugendlicher, in der der permanente Wechsel das einzig Beständige zu sein scheint. Die Teenie-Generation der Glitzermetropole läuft als hundertprozentiges Produkt der Pop-Kultur durch den Film. Fast die Hälfte der 19 köpfigen Hauptdarsteller-Riege hat Araki aus erfolgreichen Fernsehserien wie "Beverly Hills 90210", "Eine schrecklich nette Familie" oder "Melrose Place" ausgeliehen. Der schmucke "Baywatch"-Star Jason Simmons spielt hier eine Figur, die schlicht Teenie-Idol genannt wird und sich in einer romantischen Affaire als brutaler Vergewaltiger entpuppt. Permanent scheint Arakis Film sich selbst überholen zu wollen und dreht sich dabei wie seine Protagonisten nur den eigenen Bauchnabel. Keine äußere Instanz die Werturteile fällt. Die Kulturkritik erklingt in dieser überdosierten Dauerattacke auf die Sinne nur als Oberton. Ein zügelloser Film, hart am großstädtischen Puls der Zeit. Jung. Frisch. Abgefuckt.

Martin Schwickert