O BROTHER, WHERE ART THOU?

Homer im Süden

Die Coen-Brüder witzeln sich wieder durch die (Film-)Geschichte

Kettensträflinge im schwarzweißen Streifen-Drillich tauchen aus dem Vorspann-Dunkel, aus dem heraus wir sie schon Steinekloppen hören konnten. Erst allmählich gewinnt der Film an Farbvarianz, bleibt aber ganz leicht sepiabraun und blaß, wie alte Bilder aus den 30ern - eine staubige, manchmal fast goldene Tönung, in der die letzte Einstellung wieder völlig versinken wird.

Drei Männer flüchten aus einem Maisfeld, einer von ihnen ist George Clooney alias Everett Ulysses McGill. Die Kombination aus Coen Bros. und Mr. Clooney hat O Brother, Where Art Thou? teilweise schon Kultfilmlorbeeren eingebracht, bevor ihn irgend jemand gesehen hatte. Zumal der Film das Schönlingsimage des eitlen Protagonisten, der selbst als entflohener Gefangener scheinbar von keinem wichtigeren Gedanken als der richtigen Haarpomade besessen ist, reichlich ausschlachtet. O Brother, Where Art Thou? , das ist zum einen der biblisch tönende Titel eines möchtegern-sozialkritischen Werks, das ein beflissener Regisseur 1941 in Preston Sturges Hollywood-Satire Sullivan's Travels drehen will, während der "Recherchen" aber versehentlich im Gefängnis landet und reuig zu Komödien zurückkehrt. Zum anderen, so wird promotet, ist es eine in die amerikanische Depressionszeit verlegte (Coen-)Adaption von Homers "Odyssee". Die große Geste, eine Zitatenreise durch amerikanische Filmhistorie mit dem zweitältesten Epos der abendländischen Kulturgeschichte zu vermählen, sollte nicht allzu ernstgenommen werden: Freilich werden in die Flucht der "drei Daltons" entsprechende Stationen eingebaut, ein blinder "Seher" sagt ihnen zu Beginn kryptisch ihre Abenteuer voraus, sie begegnen einäugigen "Zyklopen" und - natürlich - auch verführerischen Sirenen. Nur ist letztlich im Grunde jedes Road-Movie und jeder Ausbruchsfilm ein später Nachfahre der "Odyssee" - die Coens spielen damit nur ein klein wenig direkter.

Darüber hinaus hat die Bezugnahme ungefähr den Status der Vorspanneinblendung von Fargo , die augenzwinkernd das Beruhen auf "einer wahren Geschichte" verspricht. Diesmal kein scharfer "rot wie Blut, weiß wie Schnee"-Kontrast: Das eher zum Verwaschenen tendierende Farbkonzept, aus dem unter anderem jedes Grün verbannt ist, wurde von Roger Deakins, Coen-Kameramann seit Barton Fink , nicht nur durch Filter und chemische Methoden umgesetzt, sondern durch die akribische Bearbeitung des komplett in ein digitales Masterband umgewandelten Filmmaterials. Die unglaubliche visuelle Penibilität der Coens hat sie dankbar zu den neuen Möglichkeiten greifen lassen. Wie so oft formen sie mit starken geographischen Bezügen, detailverliebter Ausstattung und genüßlichen Zeichnungen einheimischer Hinterwäldler einen höchst künstlichen Schauplatz; nach Texas, Arizona und Minnesota tauchen sie diesmal tief in die Südstaaten, was uns auf dem Höhepunkt eine bizarr-komische KluKluxKlan-Tanzperformance beschert.

Selbst ein mittelmäßiger Coen-Film zeigt noch, wieviele Ozeane an handwerklicher Perfektion, an Komplexität und originellem Einfallsreichtum leider zwischen deutschem und amerikanischem Autorenkino liegen können.

Natalie Lettenewitsch

USA 2000. R,B: Joel Coen. B: Ethan Coen. K: Roger Deakins. D: George Clooney, John Turturro, Tim Blake Nelson, Holly Hunter, 107'