ÖFFNE MEINE AUGEN

Heim & Herd
Eheliche Gewalt ist in Spanien ein großes Problem

Ich habe noch meine Pantoffeln an", sagt Pilar, als sie mitten in der Nacht im Winter vor der Tür ihrer Schwester steht. Hastig hat sie ein paar Sachen gepackt, den Sohn geweckt und ist mit dem Nachtbus quer durch Toledo gefahren. Pilar hat genug von ihrem Mann Antonio und seinen Gewaltausbrüchen. Nach zehn Jahren hat sie den Absprung geschafft und versucht nun mühsam, ein neues Leben anzufangen.
Der Job im Museum, den ihr die Schwester besorgt, die gemeinsamen Mittagspausen mit den Kolleginnen verbinden sie mit einer Welt jenseits von Heim und Herd im unwirtlichen Neubaugebiet, wo sie bisher mit Antonio gelebt hat. Pilars Auszug ist auch für Antonio ein Einschnitt. Nach langem Zögern begibt sich der frustrierte Kühlschrankverkäufer in eine Gruppentherapie, um seine Wutausbrüche unter Kontrolle zu bekommen.
Antonio ist kein Monster. Während die anderen in der Therapiegruppe es als selbstverständliches Recht eines Mannes ansehen, die eigene Frau schlagen zu dürfen, ist sich Antonio seiner Schuld bewusst. Auf Drängen des Psychologen entschuldigt er sich bei Pilar und wirbt mit Geschenken schüchtern um die zur Scheidung entschlossenen Ehefrau. So wie Antonio kein Monster ist, ist Pilar kein passives Opfer. Trotz der erlittenen Gewalt strahlt sie eine gewisse Stärke aus und tritt Antonio mit neu gewonnenem Selbstbewusstsein entgegen.
In Öffne meine Augen untersucht die spanische Regisseurin Iciar Bollain sehr differenziert die ehelichen Gewaltstrukturen und geht der Frage nach, warum Frauen die Männer, die sie schlagen, weiterhin lieben und weshalb sie immer wieder zu ihnen zurückkehren. Als Pilar es noch einmal mit Antonio versucht, wendet sich ihre Schwester kopfschüttelnd von ihr ab. Sie versteht das Prinzip Hoffnung nicht, dass Pilar den Mechanismen männlicher Gewalt entgegensetzt.
Die Stärke von Bollains Film, der durch seine soziale und psychologische Genauigkeit an die Arbeiten des Briten Ken Loach erinnert, ist, dass er gegen einfache Vorverurteilung ankämpft, zwischenzeitlich sogar die Hoffnung auf ein eheliches Happy End nährt, ohne jedoch die Täter-Opfer-Grenzen zu verwischen. Es mag Gründe für patriarchale Gewalt geben, aber es gibt keine Entschuldigung dafür.

Martin Schwickert
Te doy mis ojos. Sp 2003 R&B: Iciar Bollain K: Carles Gusi D: Laia Marull, Luis Tosar, Candela Peña