OKAY

Fröhliche Tragik

Jesper W. Nielsen zeigt das ganz normale Leben

Habe ich mein Leben oder hat mein Leben mich im Griff?" Wer sich die Frage ab und zu stellt, wird sich Nete (Paprika Steen) schnell verbunden fühlen. Sie ist die streitbare Hauptfigur in Jesper W. Nielsens Alltagskatastrophenfilm Okay . Ein Energiebündel. Mitte Dreissig. Verheiratet mit einem erfolglosen Schriftsteller, der sich an der Uni etwas "dazu" verdient. Vollzeitjob im Sozialamt. Daheim eine heftig pubertierende Tochter mit Zahnspangenproblemen. Jeder Tag ist so vollgepackt, wie die Wohnung, in der man sich kaum drehen kann, ohne etwas umzustoßen. Abends schnell noch ein paar von den frittierte Asia-Raviolis reingestopft, an denen Ehemann Kristian (Troels Lyby) stundenlang herumgedoktort hat. Dann wieder ab zum nächsten Termin.
Da bricht eine Nachricht in die routinierte Alltagshektik ein, die alles aus der Bahn wirft. Drei Wochen, sagt der Arzt, habe ihr an Leukämie erkrankter Vater noch zu leben. Obwohl sich die beiden nie besonders gut verstanden haben, bietet Nete dem kranken Vater einen Platz in ihrer Wohnung an. Widerwillig lässt sich der sture Alte auf das Angebot ein, nimmt das Wohnzimmer in Beschlag, raucht eine nach der anderen und legt die Fernsehfernbedienung nicht mehr aus der Hand. Woche um Woche vergeht, ohne dass der Vater das Zeitliche segnet. Die Situation wird immer unerträglicher, und als Nete erfährt, dass Kristian eine Affäre mit einer schönen Literaturstudentin unterhält, kocht der Topf über.
Eine Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs - die Rolle ist wie maßgeschneidert für Paprika Steen, die hier ihrem Vornamen alle Ehre macht. Steen spielte die große Schwester in Vinterbergs Das Fest und schon einmal die betrogene Ehefrau in Open Hearts . Nur wenige Schauspielerinnen können so überzeugend in Rage geraten, ohne dabei die verwundete Seele verstecken müssen. Anders als der seelenverwandte Open Hearts wird Nielsens Film nicht von der Kraft des Schicksals angetrieben, wie sie die DOGMA-Filmer ins dänische Kino eingeschrieben haben. Vielmehr zeigt Okay , wie klein die großen Gefühle oft sind, wie nah Vertrautheit und Routine in langjährigen Beziehungen liegen und die stille, ruhige Kraft, die darin verborgen ist. Mit liebevoller Ironie blickt Nielsen auf die kriselnde Beziehung, in der die traditionellen Mann-Frau-Stereotypen erfrischend auf den Kopf gestellt werden. Auch die Nebengeschichte, in der Netes schwuler Bruder Martin als Samenspender für ein befreundetes Lesbenpaar dient und unverhoffte Vatergefühle entwickelt, amüsiert angenehm klischeelos.
Nielsens Trumpf ist die Genauigkeit, mit der er jede einzelne Figur und ihr Lebensmilieu in Szene setzt. Das hat nichts mit pseudodokumentarischen, sozial engagiertem Kameragewackel zu tun, sondern mit einer großen Aufrichtigkeit gegenüber den Charakteren und einem Sinn für das Abenteur des Alltäglichen.

Martin Schwickert

Dän. 2002 R: Jesper W. Nielsen B: Kim Fupz Aakeson K: Erik Zappon D: Paprika Steen, Ole Ernst, Troels Lyby