ONE DAY IN EUROPE

Fremder Blick
Episoden aus Europa

Hannes Stöhr hat einen paneuropäischen Episodenfilm gedreht und verschiedene Personen die gleiche Situation in einer jeweils anderen Umgebung durchspielen lassen. Es beginnt mit einer Fahrt über den Moskauer Stadtring, vorbei an sozialistischen Plattenbauplantagen und stalinistischen Prachtbauten. Autos mit türkischen und spanischen Flaggen rasen hupend über die breiten Straßen. Es ist der Tag des Champions League-Finales zwischen Galatasaray Istanbul und Deportivo La Coruna. Auf dem Rücksitz eines Taxis sitzt die Engländerin Kate (Megan Gay) und scheißt am Handy ihren Ex-Lover mit knapper, messerscharfer Diktion zusammen. Dann hält das Taxi. Das Hotel sei gleich dahinten um die Ecke, behauptet der Fahrer, und dann geht alles ganz schnell. Quietschende Reifen, Pistole vor der Nase, weg ist das Gepäck. Kate ist zu genervt, um die Fassung zu verlieren und wird von einem gutmütigen Großmütterchen (Luidmila Tsvetkova) zum Tee geladen. Auf Englisch und Russisch wird geradebrecht. Gemeinsam gehen die beiden zur Polizei und arbeiten verzweifelt gegen den Stoizismus der Ordnungshüter an, die lieber das Fußballspiel im Fernsehen als irgendwelche Straßenräuber verfolgen wollen.
Was in der ersten Episode brillant funktioniert - das Aufeinanderprallen konträrer Charaktere und Kulturen, die in verschiedenen Sprachen aneinander vorbei reden - verliert deutlich an Drive. In Istanbul versucht Florian Lukas als Rucksacktourist einen Gepäckdiebstahl zu fingieren und gerät an einen schwäbelnden deutsch-türkischen Taxifahrer (Erdal Yildiz) und einen bierernsten Polizisten (Ahmet Mümtaz Taylan), die diensteifrig sofort mit der Verfolgung der Täter beginnen wollen. In Santiago de Compostella trifft ein suizidwilliger Pilger (Péter Scherer) auf einen lebenslustigen galizischen Polizisten (Miguel de Lira). In Berlin schließlich will ein französisches Straßenschauspieler-Paar (Rachida Brakini/Boris Aquier) einen Raubüberfall inszenieren.
Vor allem die letzten beiden Episoden fallen deutlich gegenüber ihren Vorgängern ab. Das liegt nicht nur daran, dass man nach zweifacher Wiederholung mit dem Konzept hinreichend vertraut ist, sondern auch daran, dass die Qualität von Locations, Dramaturgie und filmischer Dynamik nach hinten deutlich abfällt. Dass Stöhr ausgerechnet in seiner Heimatstadt Berlin die uninteressantesten Bilder für seine Story findet, erscheint als logische Konsequenz. Hier fehlt ihm der neugierige Blick des Fremden, der in den Moskauer und Istanbuler Episoden die Geschichte auch optisch stark vorantreibt.

Martin Schwickert
R&B: Hannes Stöhr K: Florian Hoffmeister D: Megan Gay, Florian Lukas, Péter Scherer