»ORT DER WAHRHEIT«

Durchschuß

Tarantino und die Folgen

Wenn Raymond sagt, das läuft so, dann läuft das so." Ally behauptet das mit einem Brustton der Überzeugung, daß schon klar ist, hier läuft gar nichts so, wie Boyfriend Raymond (Vincent Gallo) es sagt. Alles ist katastrophal schiefgelaufen. Zuerst der Überfall auf ein Kokain-Depot, bei dem Raymond und seine Kumpane sich unwissentlich zwischen Mafia und Drogenfahndung positionieren. Dann die Flucht, bei dem ein unschuldiges Pärchen gekidnappt wird. Und nicht zuletzt der große Deal, der wie eine Seifenblase zerplatzt.
Aber nicht nur in der Story läuft alles verquer. Kiefer Sutherland, der bei Ort der Wahrheit zum ersten Mal Regie führt und den fiesen Part übernommen hat, haut lieblos Zutaten in die Filmbrühe, die eines gemeinsam haben: Sie sollen den Film zum Kult erheben. Tarantino und die Folgen anno 98.
Am Anfang begegnen wir Raymond in Zeitlupe, wie er gerade das Gefängnis verläßt. Das Ende zeigt Raymond abermals in Zeitlupe. Sutherland ikonisiert seinen Ganoven, ohne daß es dieser irgendwie verdient hätte.
Dazu verdichtet er die Flucht als ein Raod-Movie, fährt die Kamera über malerische Landschaften und leiert einen der grausamsten Soundtracks der Filmgeschichte ab. Der kleine Psycho-Krieg, den die sechs Autoinsassen (vier Gangster plus zwei Geiseln) dabei abfeiern, gehört zu den gelungeneren Seiten des Streifens.
Vollends scheitert der Versuch, "coole" Dialoge einzubauen. Die Bösen unterhalten sich langatmig über kleine Begebenheiten aus dem Alltag, über schiefgelaufene Dates und Fragen der richtigen Ernährung. Sutherland will die Banalität des Bösen offenbaren und langweilt mit der Banalität des Bekloppten.
Um das aufzupeppen, greift Sutherland zu drastischen Mitteln. Ein abgewrackter Altstar (Martin Sheen) muß her, der möglichst locker widerliche Grausamkeiten begeht. Wie viele Nachstellungen von Reservoir Dogs vollen die Epigonen noch drehen?
Es ist alles ganz fürchterlich. Die Greueltaten, die begangen werden und der bleiernde Showdown. Es dreht sich einem der Magen um, wie viele Beknackte heutzutage den Weg auf die Leinwand finden. Nach vier Autowechseln naht endlich das erlösende Etwas genannt Ende. Bullen und Mafia reiben sich gegenseitig auf, unsere bescheuerte Gang mittendrin, und ein jeder verdient seine gerechte Strafe. Raymond bekommt sein langsames Sterben, Freund Kiefer den ersten Durchschuß. Nur leider: Warum erst so spät? Was Raymond sagt oder nicht sagt oder je gesagt hat, ist das Material nicht wert, auf das es gebannt ist.

Ulf Lippitz