»OSCAR UND LUCINDA«

Das große Spiel

Eine traurige Liebesgeschichte um zwei Spielverrückte

Ein kleiner Junge steht am Meer, Wasser umspült seine Füße. Kleider wickeln sich um seine Beine. Er ruft nach seinem Vater. Der Vater wirft die Kleider der toten Mutter in das Meer. Er schreit nach seiner Frau. Ein Bild. Tod. Schmerz. Angst.
Die Geschichte findet ihren Anfang im Jahre 1857 und zeigt Oscar (Ralph Fiennes) und Lucinda (Cate Blanchet) als Kinder; er wächst in New South Wales/Australien, sie in Devon/England auf. Während wir Oscar in einer Atmosphäre erleben, die durch den streng religiösen Vater von Düsterkeit und Angst geprägt ist, tritt Lucinda als Lichtgestalt mit einer Passion für Gebilde aus Glas und das Meer in Erscheinung. Als junge Frau setzt sie ohne Rücksicht auf die gesellschaftliche -chtung ihre Ziele in die Tat um, indem sie von England nach Australien reist und mit dem Erbe ihrer Mutter die Glaswerke in Sydney erwirbt.
Eine klare Ordnung der Welt - das ist es, wonach Oscar sich von Kindesbeinen an sehnt. Indem er von zuhause wegläuft, weist er das Prinzip einer patriarchalisch ausgeübten Religion zurück. Der entrückte Oscar und die weltliche Lucinda begegnen sich durch ihre gemeinsame Leidenschaft für das Spielen in Sydney, wo er sein Priesterseminar absolviert. Die Liebe zu Lucinda ist Oscars Motor für sein verzweifeltes Bemühen, die Dinge der Welt neu zu ordnen und zu versöhnen. Indem er die Kirche aus Glas durch den Dschungel zu Lucindas vermeintlichem Liebhaber und von der Kirche ins Exil geschickten Dennis (Ciaran Hinds) tragen will, will er nicht nur zeigen, daß Liebe für ihn Selbstaufgabe bedeutet. Diese Geste Oscars bedeutet eine neue Ordnung der Welt im Sinne der Verschmelzung der traditionell unversöhnlichen Gegensätze von Religion und Lebensfreude, die Oscar mit seinem Credo "Pray for pleasure!" auf den Punkt bringt.
Oscars und Lucindas Leidenschaft für das Spielen ist Bindeglied und trennendes Element für die beiden, da das Spielen mit Lucinda für Oscar, der an einer Wasserphobie leidet, identisch ist mit dem Prozeß des Ertrinkens. Dabei ist es nicht zu übersehen, daß Lucinda zunehmend mit der Farbe Blau gezeigt wird.
Gillian Armstrong ist mit Oscar und Lucinda eine wunderbare Einheit von Inhalt und Form gelungen, denn ob Farbgebung, Kameraarbeit oder Montage, jede Komponente des exzellent gebauten Dramas ist eine Facette der Geschichte. Die Bildsprache in Oscar und Lucinda ist von einer solch kraftvollen, zum Teil gewalttätigen Poesie, daß mir einige der Bilder noch lange Zeit im Kopf herumspuken werden.

Hedda Figuhr