Paradies: Glaube

Die Hölle der Anderen

Ulrich Seidl hat einen bösen Film über Religion gedreht

Anna Maria ist ganz fürchterlich katholisch. In den ersten Bildern des Films entblößt sie sich vor einem sehr großen Kreuz an der Wand und flagelliert sich. Später, in der höchsten Not, wird sie mit dem großen Kreuz im Bett noch ganz andere Ding anstellen, was Regisseur und Co-Autor Ulrich Seidl auf dem Festival von Venedig eine Strafanzeige wegen Blasphemie einbrachte. Außerdem gewann der Film dort auch den großen Preis der Jury in Venedig.

Seidls Beobachtungen aus dem Innern der Einsamkeit sind dabei tieftraurig und erschreckend komisch. Anna Maria zieht in ihrer Freizeit mit einer großen Mutter Gottes-Statue von Haustür zu Haustür und will die Menschen von der Sünde befreien. Zur tatkräftigen Unterstützung wird dabei nicht nur eifrig gesegnet (aus einem stets paraten Weihwasser-Sprühfläschchen), die Mutter Gottes wird auch für ein paar Wochen ausgeliehen und darf dann im Haushalt der Sünder an einer prägnanten Stelle in der Wohnung stehen und beim Sichbekehren helfen. Zu den bizarrsten Szenen des Films gehört eine Bekehrungsbegegnung mit dem Messi René Rupnik, der in Seidls Dokumentation Der Busenfreund (1997) im Mittelpunkt stand und nichts von seinem schrägen Charme verloren hat. Wie zwei Menschen, die völlig neben der Spur sind, hier mit Leidenschaft aneinander vorbei reden und doch aufeinander eingehen, gehört zu den großen Momenten dieser typischen Seidl-Mischung aus dokumentarischer Kargheit und filmischer Gestaltung.

Eines Tages ist der Ehemann von Anna Maria wieder im Haus. Nabil ist Muslim und querschnittgelähmt. Anne meint, dass "der Unfall", der Nabil widerfuhr, ein Zeichen des Herrn war. Nabil will einfach nur vögeln und ärgert sich über die vielen Kreuze in der Wohnung. Nach und nach entblättert der Film eine Vergangenheit der beiden, die Annas Katholikenknall erklären könnte.

Das letzte Drittel des Films beschreibt den Kleinkrieg, den die entfremdeten Eheleute gegeneinander führen. Nabil schmeißt die Kreuze von der Wand und in den Müll, Anna nimmt ihm den Rollstuhl weg, Nabil versucht Anna zu vergewaltigen, sie prügelt ihn aus dem Rollstuhl.

Dass der Glaube nur ein Vorwand ist für eine innere Not, die sich die Welt anders nicht erklären kann, hat Seidl mit dieser Geschichte schön herausgearbeitet, ohne darüber reden zu müssen. Neben der atemberaubend selbstzerstörerischen Hauptdarstellerin Maria Hofstätter (die schon in Seidls Hundstage beeindruckte) sind es vor allem wieder Seidls Bilder, die den Film tragen. Jenseits aller dokumentarischen Zufälligkeit ist jeder Bildausschnitt, jede Lichtsetzung mehr als beeindruckend, es sind fast strenge Kompositionen, in die Seidls Kamera die Welt aufteilt. Dass Paradies: Glaube dennoch wie beiläufig beobachtet wirkt, ist Seidls Talent geschuldet, das in Paradies: Liebe schon zu seinem Höhepunkt gefunden zu haben schien.

Der dritte Teil dieser bösen und traurigen Trilogie der Einsamkeit, Paradies: Hoffnung, wird in wenigen Monaten ins Kino kommen. Wir sind sehr gespannt.

Thomas Friedrich

Ö 2012 R: Ulrich Seidl. B: Ulrich Seidl, Veronika Franz K: Edward Lachman, Wolfgang Thaler D: Maria Hofstätter, Nabi Saleh, Natalya Baranova, René Rupnik