AMORES PERROS

Hunde und Gewalt

Eine drastische mexikanische Version von »Pulp Fiction«

Schon in den ersten Minuten wird der Kinosessel zum Schleudersitz. Mit zwei jungen Männern rast die Kamera durch die Straßen von Mexico-City. Auf dem Rücksitz des Wagens verblutet ein Hund. Schreie. Schüsse. Die Ampel springt auf rot. Vollgas. Quietschende Reifen. Frontaler Aufprall. Der rasante Anfang ist zugleich die eigentliche Mitte des Films, zu der die sternförmige Erzählung immer wieder zurückkehrt. Gewaltsam lässt Regisseur Alejandro González Inarritu in seinem spektakulären Kinodebüt drei Lebensgeschichten aus dem mexikanischen Hauptstadtmoloch aufeinanderprallen.
Zuerst spult der Film zurück zu Octavio (Garcia Bernal), dem Fahrer des Fluchtwagens, der mit der Frau seines Bruders durchbrennen will und in die Welt der illegalen Hundekämpfe gerät. Sein Rottweiler streckt alle Gegner nieder. Als ein Konkurrent den Hund erschießt, sticht Octavio zu. Seine Flucht endet an der Kreuzung, an der er in Valerias Auto hineinrast. Neue Geschichte. Andere Welt. Großformatig wirbt Valeria (Goya Toledo) auf Häuserwänden für ein edles Parfüm. Nach dem Unfall ist es mit der Model-Karriere vorbei und auch die Beziehung zu dem Verleger Daniel (Alvaro Guerrero) leidet unter den Nachwirkungen. Als Valerias Schoßhund in einem Loch im Parkett verschwindet und nachts nur sein Winseln zu hören ist, rückt der Wahnsinn immer näher an die lädierte Berufsschönheit heran. Am Rande der Unfallkreuzung stand auch der Obdachlose El Chivo (Emilio Echevarria). In seinem früheren Leben war er ein Guerillero, der Frau und Tochter verlassen hat, um im Untergrund eine bessere Welt herbeizubomben. Jetzt finanziert er sich durch gelegentliche Auftragsmorde. Er pflegt Octavios schwer verletzten Hund gesund, und auf blutige Weise konfrontiert der bissige Rottweiler den Alten mit seiner eigenen Existenz.
Drei Geschichten aus Mexico-City - einer Stadt mit harten sozialen Kontrasten und einer alltäglichen Gegenwart des Sterbens. Zwischen der rohen Szenerie der Hundekämpfe und der gediegenen Designeridylle der Modewelt tut sich die ganze Bandbreite der mexikanischen Klassengesellschaft wie eine klaffende Wunde auf. Trotzdem nähert sich González Inarritu den Welten seiner Figuren mit unbestechlicher Vorurteilslosigkeit, zeigt ihre Eigengesetzlichkeit, Fragilität und Selbstzerstörungskraft. Trotz der sozialen Unterschiede bewegen sich alle auf dünnem Eis in einer Gesellschaft, der das Fundament abhanden gekommen ist. Amores Perros ist ein energiegeladener Film, und es ist die Kraft der Verzweiflung, die ihn antreibt. Die präzise geführte Handkamera von Rodrigo Prieto findet Bilder für das haltlose Lebensgefühl der Stadt. In seiner verwickelt-temporeichen Erzählstruktur erinnert Amores Perros an Tarantinos Pulp Fiction. Gewalt ist hier jedoch kein Mittel zur Steigerung des Unterhaltungswertes, sondern Teil der schmerzenden Wirklichkeit, die der Film aufregend ungeschönt ins Visier nimmt.

Martin Schwickert

Mexico 2000 R: Alejandro González Inarritu B: Guillermo Arriaga Jordan K: Rodrigo Prieto D: Emilio Echevarria, Gael Garcia Bernal, Goya Toledo