»PONETTE«

Trauer als Krankheit

Tod, wo ist dein Stachel? - Jacques Doillon hat ihn.

Das Wissen um die eigene Vergänglichkeit macht Angst. Wir verdrängen es am liebsten in die hinterste Ecke unseres Bewußtseins und versuchen, besonders die Welt der Kinder davon frei zu halten. Anders Jacques Doillon, der sich mit Ponette diesem Tabuthema widmet. Als die Mutter der kleinen Ponette bei einem selbstverschuldeten Autounfall ums Leben kommt, bricht für das kaum dem Kindengartenalter entwachsene Mädchen eine Welt zusammen. Allein gelassen mit einem Vater, der über den Tod seiner Frau mehr Wut als Trauer empfinden kann und nun von seiner Tochter die Stärke fordert, die er selbst nicht aufbringt, muß Ponette ihren Schmerz bewältigen.
Anstatt in ihrer Umwelt eine Stütze zu finden, wird das Mädchen mit einer Fülle verwirrender Kinderphantasien und mindestens ebenso verwirrender religiöser Glaubensinhalte konfrontiert, die die Unfähigkeit der Erwachsenen dokumentieren, sich offen mit dem Tod auseinanderzusetzen. Die Menschen verweigern dem Kind den Raum, den es braucht, seine Trauer zu leben, und degradieren seinen Kummer zur Krankheit.
Es ist faszinierend, Ponette in ihre Welt zu begleiten, sie mit ihren Augen wahrzunehmen und noch einmal mit Haut und Haaren in ihrer kindlichen Sichtweise zu versinken. Die Härte, mit der eine unüberschaubare Flut von Weltanschauungen und Jenseitsvorstellungen über das Mädchen hereinbricht, offenbart uns die Grenzen des menschlichen Horizonts. Ponette zwingt zur Infragestellung des Glaubens, nicht zuletzt aufgrund der aufwühlenden schauspielerischen Leistung der Kinder.
Einziger Wermutstropfen bleibt die schwache Auflösung des Konfikts, die nicht etwa aus den Bemühungen der Menschen resultiert, dem Mädchen doch noch zu einer natürlicheren, unbefangeneren Auseinandersetzung mit ihrem Verlust zu verhelfen. Vielmehr wird eine kurzzeitig wiederauferstandene Mutter vorgeschoben, die die gesellschaftliche Pflicht übernimmt, Ponette den verlorenen Lebensmut wiederzugeben.

Lisa Schneider