POPULÄRMUSIK IN VITTULA

Knapsu
Wie die Beatles in den kalten Norden kamen

Hoch oben jenseits des Polarkreises in der lappländischen Provinz liegt das Städtchen Pajala. Ein hartgesottenes Völkchen bewohnt diesen nördlichsten Wurmfortsatz Schwedens wo die Winter lang und dunkel sind und Jugendliche davon träumen, nach Stockholm zu ziehen, um endlich ein richtiger Mensch zu werden.
In den 60ern herrschen hier im finnisch-schwedischen Niemandsland archaische Verhältnisse. Daran wird auch die asphaltierte Straße nichts ändern, die gerade durch den Ortsteil Vittula gezogen wurde, ohne dass wirklich jemand weiß, wohin die geteerte Piste führen soll.
Für die Freunde Matti und Niila findet die nordpolare Tristesse durch eine kleine Vinylscheibe ein Ende. Als die beiden im zarten Alter von sechs Jahren ihre ersten Beatles-Song hören, ist es um sie geschehen. Hartnäckig verfolgen sie die Idee, in Vittula eine eigene Rock'n'Roll-Band zu gründen. Unterstützt werden sie dabei von dem neuen Musiklehrer Greger, der John Lennon zum Verwechseln ähnlich sieht und wie ein Heilsengel der Hippiegeneration aus Südschweden herbeigeradelt kommt. Musik jenseits des volltrunkenen Wirthausgesangs gilt bei den harten Kerlen in Vittula als "knapsu", was im lokalen Jargon "unmännliches Weicheierverhalten" bedeutet. Aber auch wenn die Mitschüler sie auslachen und der Vater Niilas Gitarre zertrümmert, lassen sich die beiden Freunde nicht aufhalten und sorgen dafür, dass die wilden sechziger Jahre auch in Vittula Einzug halten.
Nach dem Roman von Mikael Niemi erzählt Regisseur Reza Bagher eine Geschichte über das Erwachsenwerden unter verschärften Bedingungen. In lockerer Episodenfolge karikiert Bagher die grobschlächtige Machokultur der Lappländer, die in erster Linie aus Saunawettbewerben, hemmungslosen Saufgelagen und Fingerhakeln besteht. Auf Hochzeitsfeiern, Geburtstagen und schließlich bei einem lokalen Talentwettbewerb unterminieren die Jungen mit ihrer Knapsu-Musik langsam die archaischen Sitten ihrer nordpolaren Zeitgenossen.
Den kulturellen Aufeinanderprall zelebriert Bagher sehr kurzweilig in schrillen Farben und bewegt sich dabei an der Grenze zum Surrealen. Einzig auf die Rahmenhandlung, die die 60er-Jahre-Geschichte erzählerisch etwas zwanghaft mit der Gegenwart zu verbinden sucht, hätte man vollkommen verzichten können.

Martin Schwickert
S/Fin 2004 R: Reza Bagher. B: Reza Bagher, Mikael Niemi, Erik Norberg. K: Robert Nordström. D: Max Enderfors, Andreas af Enehjelm, Björn Kjellmann