»EINE PORNOGRAFISCHE BEZIEHUNG«

Sex ist alles

Eine erotische Komödie mit Geschmack und Diskretion

Ein Verbraucherhinweis vorneweg: Plakat und Titel von Frédéric Fonteynes Eine pornografische Beziehung führen in die Irre. Zwar geht es hier um Sex, aber man sieht davon fast nichts. Dabei ist dieser Film keineswegs prüde. Aber die Kunst der Erotik - das kann man an jedem FKK-Strand überprüfen - liegt eben nicht in der Entblößung, sondern in der sparsamen Verhüllung.
Eine Frau (Nathalie Baye) und ein Mann (Sergi Lopéz) lernen sich über die Kontaktanzeige in einem einschlägigen Magazin kennen. Von einer "sexuellen Fantasie" war im Text die Rede, deren zielstrebige Erfüllung nun auch Zweck der ersten Begegnung ist. Um welche Art von Fantasie es sich dabei handelt, darüber schweigen sich Mann, Frau und Film bis zum Schluss verschmitzt aus. Wenn sich die Zimmertür hinter den beiden schließt, bleibt die Kamera diskret im Hotelflur zurück.
Jeden Donnerstag treffen sie sich in einem Café nahe des Hotels. Die ersten Gespräche sind kurz und gequält. Später werden sie ausführlicher, berühren jedoch nie das, was man gemeinhin unter "persönlich" versteht. Name, Beruf, Familienstand, Herkunft und Kindheit bleiben außen vor. Selbst zum Austausch von Telefonnummer und Adresse kommt es nicht. Gefühle hingegen werden mit ungewohnter Direktheit verhandelt, selbst der gemeinhin dümmliche Gesichtsausdruck während des Orgasmus' ist kein Tabuthema. Die Beziehung gedeiht im anonymen Vakuum wie eine Zimmerpflanze im tropischen Freilandversuch und entfernt sich schleichend vom Annoncentext. Als ein alter Mann auf dem Hotelflur einen Herzanfall erleidet, finden sich die hermetisch Liebenden plötzlich gemeinsam im ganz normalen Leben wieder. Den irritierenden Außeneinflüssen folgen weitere Grenzverletzungen, und schließlich steht ein enormes Liebesgeständnis im Raum. Vor der Verpflanzung der Beziehung in einen gemeinsamen Alltag schrecken jedoch beide zurück. Die Trennung gleicht einem einvernehmlichen Missverständnis und das Happy End liegt in der gemeinsamen Erinnerung.
Der belgische Regisseur Frédéric Fonteynes erzählt seine französische Liebesgeschichte als doppelte Rückwärtsbewegung. Nicht das mühsame zwischengeschlechtliche Ränkespiel steht am Beginn, sondern die sexuelle Erfüllung, die in Liebesfilmen üblicherweise erst als finales Sahnehäubchen gereicht wird.
Ausgangspunkt der Erzählung wiederum ist nicht der Anfang, sondern das Ende der Affäre. In getrennten Interviews berichten Mann und Frau von längst Vergangenem, die ungewöhnliche Liebesbeziehung wird aus drei verschiedenen Perspektiven betrachtet: dem Rückblendenblick der Kamera und den keineswegs identischen Berichten der beiden Beteiligten. Fonteyne serviert seine ausgeklügelte Dramaturgie mit überzeugender Nonchalance und hat mit Nathalie Baye und Sergi Lopéz ein schauspielerisches Optimalpaar gefunden, wie man es nur selten zu sehen bekommt. Ein kurzer Blickwechsel, ein sparsames Lächeln, ein halb ausgesprochener Satz reichen aus, um die Luft zum Knistern zu bringen.
Baye und Lopéz beherrschen die Kunst der sparsamen Verhüllung, legen die Gefühle ihrer Figuren offen, ohne sie vollständig zu entblößen. In diesem besten Sinne ist Eine pornografische Beziehung ein Erotikfilm, der weitaus mehr über die Anziehungskräfte zwischen Männern und Frauen verrät, als das Nachtprogramm privater Fernsehanstalten.

Martin Schwickert