HARRY POTTER UND DIE KAMMER DES SCHRECKENS

163 Minuten ...

...dauert der neue Potter-Film. Und führt das Kiddie-Publikum an die Gruselstandards Hollywoods heran

Auf fast schon magische Weise hat es die britische Autorin Joanne K. Rowling geschafft, die Kinder der Mediengesellschaft weg von Gameboy und Teletubbies in die Welt des Buches zu locken. Ganz ohne die gewohnte elektronisch-visuelle Unterstützung haben die Potter-Fans ihre eigenen Fantasien zu den Abenteuern des Zauberlehrlings entwickelt - zumindest für kurze Zeit.
Denn bald schon schlug die Bilderindustrie zurück. Jahr für Jahr kommt jetzt eine neue Potter-Verfilmung in die Kinos, begleitet vom lärmenden Tross der Merchandising-Produkte, von Videos, Computerspielen und Souvenirartikeln. Harry Potter und der Stein der Weisen spielte 2001 weltweit 600 Millionen Dollar ein und löste eine zweite Welle der "Pottermania" aus. Regisseur Chris Columbus hatte sich sklavisch an die Buchvorlage gehalten, und sein erster Potter-Film war geprägt vom etwas mutlosen Dienst an der Fangemeinde.
Auch in Die Kammer des Schreckens arbeitet sich Columbus Seite für Seite durch den Roman, was zu einer unvertretbaren Filmlänge von 163 Minuten führt. Der Film begleitet Harry Potter durch sein zweites Lehrjahr an der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei, deren Existenz durch eine finstere Macht bedroht wird, die einzelne Schüler mit einem Versteinerungsschwur belegt. Mit Daniel Radcliffe als Harry, Rupert Grint als Ron und Emma Watson als altkluge Hermine wurden die Rollen der Kinder gleich besetzt. Aber auch im Lehrerzimmer trifft man auf die bekannten Gesichter britischer Edelmimen: Alan Rickman als griesgrämiger Professor Snake, Maggie Smith in der Rolle der gewissenhaften Klassenlehrerin McGonagall und der kürzlich verstorbene Richard Harris als weißbärtiger Schulleiter Dumbledore. Hinzu kommt ein glänzend aufgelegter Kenneth Branagh, der in der Rolle des narzisstischen Schaumschlägers Gilderoy Lockhart jede Szene an sich reißt. Seine Figur ist das notwendige komödiantische Gegengewicht zu dem ansonsten deutlich düsterer geratenen Setting.
Wie der Titel schon verspricht, ist Die Kammer des Schreckens mit mehr Gruselanteilen versetzt als sein Vorgänger, der als Pilotfilm das Muggelpublikum erst einmal in das Potter-Universum einführen musste. Deutliche Anleihen an den Monsterfilmen des Erwachsenenkinos macht Columbus, wenn er seinen jungen Helden ins Revier der Riesenspinne Aragog oder zum finalen Kampf mit einer gigantischen Schlangenmonster führt. Hier lotet er die ganze Bandbreite filmischer Gruselattraktion aus und schießt dabei immer wieder über sein Ziel hinaus.
Ähnliches gilt für die endlose Quidditsch-Partie, in der das Publikum ohne Sinn und Verstand mit Digital-Effekten und Dolby Surround-Getöse zugeballert wird. Oft wird man das Gefühl nicht los, dass hier der Zuschauernachwuchs an die stumpfen Kinostandards des Horror- und Actionkinos herangeführt werden soll.
Auch diese Potter-Verfilmung hängt im Spagat: auf der einen Seite fühlt man sich der erzählerischen Wärme von Joanne K. Rowlings Vorlage verpflichtet, auf der anderen Seite will sich der Film unbedingt als hollywoodkompatibles High-Tech-Spektakel profilieren. Aber das eigentliche Kapital von Roman und Film sind nach wie vor nicht die großkotzigen Effekte, sondern der unerschöpfliche Reichtum an liebevollen Details - vom selbstabwaschenden Geschirr bis zu den Landeproblemen einer flugunfähigen Posteule.

Martin Schwickert

USA 2002 R: Chris Columbus B: Steve Kloves K: Roger Pratt D: Daniel Radcliffe, Rupert Grint, Emma Watson