DIE PURPURNEN FLÜSSE

Cops im Schnee

Ein alpiner Serienkiller ärgert Jean Reno

Vorlage ist der Bestseller-Thriller von Jean-Christophe Grangé, für die Hauptrolle wurde mit Jean Reno einer der wenigen Grenzgänger zwischen Paris und Hollywood verpflichtet. Der ewig Unrasierte spielt hier den verlebten Supercop Pierre Niémans, der von der Seine in die verschneiten französischen Alpen abkommandiert wird, um einen richtig ekligen Mord aufzuklären. In Embryohaltung hat man die augapfellose und mit unschönen Folterspuren übersäte Leiche aus dem Gletscher geborgen.
Gleich zu Beginn zitiert sich Kassovitz ungeniert an die US-Vorbilder heran. Genau wie Jonathan Demme in Das Schweigen der Lämmer wartet Kassovitz mit einer ausgedehnten Obduktionsszene auf, die durch unübersichtliche Nahaufnahmen den Horror erahnen lässt, ohne ihn schockartig zur Schau zu stellen. Ein paar Kilometer weiter installiert das Drehbuch derweil eine zweite Cop-Figur. Kommissar Kerkerian (Vincent Cassel) ist der schnodderige Gegenpol zum schweigsamen Hauptstadtbullen. Auf der Rückbank des Streifenwagens raucht der junge Polizist morgens erst einmal einen Joint, bevor er sich den Bagatellvergehen widmet. Ausgehend von einer Grabschändung recherchiert er sich immer dichter an Niémanns Fall heran. Erst nach einer guten halben Stunden treffen die beiden Kriminalisten mit vorgehaltener Waffe aufeinander.
Währenddessen gibt der Mörder mit serieller Gelassenheit immer neue Rätsel auf und legt die Spur zu einer dubiosen Gebirgsuniversität, deren Elitekonzeption Hitlers Herrenmenschfantasien gefährlich nahesteht.
Dass man das Serienkillergenre nicht neu erfinden kann, weiß Kassovitz, und so beginnt er mit respektvollen Verneigungen vor den amerikanischen Profis. Von der Cop-Konstellation über die düsteren Bildatmosphären bis hin zu einzelnen Location-Zitaten sind z.B. die Anleihen an David Finchers sieben unübersehbar. Zunächst scheint sich der Film an den selbstgewählten Qualitätsmaßstäben messen zu können. Jean Reno und Vincent Cassel geben ein angenehm launisches Polizistenduett ab. Kameramann Thierry Arbogast schneidet aus der alpinen Gebirgslandschaft stimmungsvoll morbides Bildmaterial heraus: tiefgrauer Winterhimmel, geduckte Bruchsteinbauten, schattige Talperspektiven und monströse Gletscherformationen. Die Kamera verweigert sich dem Gipfelstürmerpanorama, die Fahrten über Serpentinenstraßen geben nie ganz den Blick auf die Landschaft frei. Die Bilder machen Versprechungen, die der Plot nicht einhalten kann. Die Schlussfolgerungen, die von einer Leiche zur nächsten führen, sind kaum nachvollziehbar.

Martin Schwickert

Les Riviéres pourpres F 2001 R&B: Mathieu Kassovitz B: Jean-Christophe Grangé K: Thierry Arbogast D: Jean Reno, Vincent Cassel, Nadja Farés