RADIO ROCK REVOLUTION

Boatpeople

Als Popmusik noch von Piratensendern verbreitet wurde

In der heutigen Radiolandschaft, in der die größten Hits der Sechziger, Siebziger, Achtziger und Neunziger pausenlos auf privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern herunter geleiert werden, ist es kaum vorstellbar, dass es eine Zeit gab, in der allein das Hören von Popmusik ein subversiver Akt war. Im Jahr 1966 spielte der staatstragende britische Radiosender BBC gerade einmal zwei Stunden Rock-Musik in der Woche. Pop war in den herrschenden Kulturkreisen verpönt, obwohl nicht nur die jugendlichen Fans schon seit Jahren die Konzerte kreischend erstürmten.

Aber es gab in dieser Zeit einige Radiosender, die rund um die Uhr Rock'n Roll spielten. Illegal und auf hoher See. Auf Schiffen umkreisten die Piratensender die britische Insel und beschallten "Old Britain" mit dem neuen Sound. Richard Curtis, der als Drehbuchautor von Vier Hochzeiten und ein Todesfall und Notting Hill eher in der romantischen Komödie zu Hause ist, hat diesen Musikpionieren ein unterhaltsames Denkmal gesetzt.

Nach dem unsanften Schulabgang wird Carl (Tom Sturridge) von der Mutter zu seinem Patenonkel Quentin (Bill Nighy) geschickt, der dem Jungen zeigen soll, wo es lang geht im Leben. Der exzentrische Musikliebhaber leitet den Piratensender "Radio Rock" und ist als Vorbild nur bedingt geeignet. Staunenden Blicks taucht Carl in die Welt des Rock-Schiffes ein, von dem aus die passionierten DJs die britische Insel in Schwingung versetzen.

Der Amerikaner The Count (Philip Seymour Hoffman) gilt im Äther längst als Institution in Sachen Rock'n Roll. Sein Konkurrent Gavin (Rhys Ifans) hingegen zieht mit seinen lasziven Moderationen vor allem das weibliche Publikum an, während der bedröhnte Nacht-DJ Bob (Ralph Brown) in seinen Folk- und Blueswelten schwelgt und die verschworene Schiffsgemeinschaft meidet.

Ein gutes Dutzend kauziger Charaktere, die durchgehend eindimensional angelegt sind, führt Curtis durch seine Hommage. Abgesehen vom überschaubaren Katz-und-Maus-Spiel mit dem behördlichen Verfolger (Kenneth Branagh) ist eine Handlung im Film nicht wirklich zu erkennen. Aber das macht nichts. Schließlich will Radio Rock Revolution vor allem Party sein. Und das gelingt bestens. Hemmungslos zelebriert Curtis das "anything goes" des Zeitgeistes der sechziger Jahre, ohne dessen Ausschweifungen retrospektiv mit der moralischen Keule bestrafen zu wollen.

Den Rest erledigt der formidable Soundtrack, in dem von Janis Joplin, Jimi Hendrix, Cat Stevens über The Kinks, Otis Redding, The Supremes bis zu Stones und Beatles die Rockgeschichte lustvoll reanimiert wird. Wer dabei ruhig sitzen bleiben kann, muss eben weiter Techno hören.

Martin Schwickert

GB/D 2009 R&B: Richard Curtis K: Danny Cohen D: Philip Seymour Hoffman, Bill Nighy, Rhys Ifans