Das radikal Böse

Der menschliche Makel

Eine Dokumentation über die deutschen Einsatzkommandos im Osten

Liebe Heidi, mach dir keine Gedanken darüber. Das muss sein." schließt der Brief des Ehemannes von der Ostfront. Die Rede ist hier von den Erschießungskommandos, die nach 1941 in den von deutschen Truppen besetzten Gebieten Polens und der Sowjetunion die jüdische Bevölkerung systematisch liquidierten. Etwa 3000 Mitglieder dieser so genannten "Einsatzgruppen" zogen Tag für Tag aus, um wehrlose Männer, Frauen und Kinder zu erschießen und in Massengräbern zu verscharren. Fast zwei Millionen Menschen - etwa ein Drittel aller Holocaust-Opfer - wurden bei Massenerschießungen getötet. Ein ungeheuerliches Verbrechen, dessen Täter nur zu einem kleinen Bruchteil zur Rechenschaft gezogen wurden.

In seinem Dokumentarfilm Das radikal Böse lässt Stefan Ruzowitzky die Täter in Briefen, Tagebucheinträgen und Gerichtsprotokollen zu Wort kommen und geht der Frage nach, wie aus ganz normalen Menschen und liebenden Familienvätern Massenmörder werden konnten. Der Chefankläger bei den Nürnberger Prozessen gegen die Einsatzgruppen, Benjamin Ferencz, führende Psychologen und Holocaustforscher wie Christopher Browning und Robert Jay Lifton werden ebenso interviewt wie Zeitzeugen in der Ukraine.

Wichtigste Quelle der Forschung sind jedoch die Bekenntnisse der Täter selbst, an denen sich der Prozess der Bestialisierung des Menschen erschreckend deutlich nachvollziehen lässt. Zu Anfang wurde den Soldaten sogar ein Verweigerungsrecht eingeräumt, von dem jedoch nur wenige Gebrauch machten. Nach den ersten Kommandoaktionen reagierten die oftmals noch sehr jungen Soldaten mit schweren körperlichen Abwehrreaktionen, aber einmal schuldig geworden ergaben sie sich den Mechanismen von Gehorsam und dem Konformitätsdruck der Gruppe.

Ruzowitzky analysiert die psychologischen Prozesse und ideologischen Manipulationen mit erhellender Klarheit, ohne die politische Dimension und die persönliche Verantwortung für die Verbrechen zu relativieren. Dabei entwickelt sich die Kernthese heraus, dass der Genozid kein unmenschliches, sondern im Gegenteil ein sehr menschliches Verbrechen ist und gerade in dieser Erkenntnis auch der Hebel zum Durchbrechen der Konformität des Mordens liegt.

Martin Schwickert

D/Ö 2013 R&B: Stefan Ruzowitzky K: Benedict Neuenfels. 96 Min.