MATRIX RELOADED

Boot Camp

Nach dem Aussenseiter nun der Rohrkrepierer

Run Intro: Alice lebt hier nicht mehr. Das wunderbare weiße Kaninchen, das den ersten Teil der Matrix-Saga (ein Noname damals neben Lucas-type Blockbustern) als frische Pop-Anspielerei und freches Tiefsinn-Aroma boostete - es wurde durch einen CAD-Schokoladenkuchen ersetzt, mit dem ein fieses, französisch sprechendes Programm einen Harry & Sally-Witz mit einem unschuldigen Blondinen-Modul macht. Aus einem wissenden Scherz unter Bibliotheksbenutzern wurde eine Zote für das Schulklo. Und jetzt erschießt mich, mit eingebildeten Kugeln, die von eingebildeten Wänden abprallen und in eingebildetem Fleisch stecken bleiben. Erschießt mich, löscht mich, schreibt mich um: Matrix Reloaded ist spannend wie ein Festplattencrash auf dem Gameboy der kleinen Schwester. Sieht aber besser aus.

Cut Scene: Vor vier Jahren explodierte Matrix ins globale Movie-Business wie vor vier Mode-Generationen der Cyberpunk ins Geistesleben. Alle Grenzen fielen, hinter jedem Spiegel erschien die vertraute Welt als Videospiel und das verstärkte Videospielen als einziger Weg aus der Illusion. Plus etwas Buddha, Bibel, Baudrillard. Jahrtausende alte Gedanken-Geschichten gipfelten in Keanu Reeves' - ahem - Minenspiel. Das war cool, das war selbstironisch, das war hyper-post-modern, das vereinte Pubertäre und Professoren in Bewunderung. Die einen durften SloMo-MG-Hülsen-Hagel für Philosophie halten, die anderen auf Schnitzeljagd nach Halb-Zitaten gehen. Heutzutage ist der originellste Einfall ein Flur voller (Programmierer-)Hintertürchen, der aus Monsters Inc. abgeschrieben scheint (evtl. Absicht: dessen Kinder-Konkurrent Shrek klaute die Matrix-Bullet-Time-Kameraoperation aufs endgültigste).

Oder ist es die Anfangs-Orgie in der letzten Zuflucht der Menschheit, einer Kleinstadt im Kern der Erde, die so sexy wirkt wie ein Angelausflug mit Käpt'n Kirk?

Repeat Kungfu: Es gibt von allem mehr als bisher; mehr Faustkämpfe, mehr Luftsprünge, mehr Gegner, mehr atemberaubende Tricks, mehr Stunts, mehr Sex (der, typisch, virtuell besser wirkt als in echt), mehr Laurence Fishburne (viel mehr, vor allem um den Bauch herum), mehr Nebenfiguren, noch mehr logische Löcher, wo ein paar aus dem ersten Teil gestopft wurden, viel mehr Dialog, na, sagen wir mal "Text" ... aber weniger Waffen, wohl weil es den Wachowskis - oder ihren Studio-Bossen - peinlich war, dass wenige Tage nach dem Original-Matrix-Start in Littelton zwei Schüler in schwarzen Ledermänteln Amok liefen. Die Mäntel wurden für den neuen Film auch geändert, was wir irgendwie noch peinlicher finden.

Gosub Crosslinks: Eigentlich ist Matrix Reloaded gar keine Fortsetzung, sondern bestenfalls der erste Teil davon. Und eigentlich ist die Matrix ein Albtraum der Wachowski-Brüder, der nur partiell im Kino tobt. Eine ganze Reihe von animierten Kurzfilmen (demnächst auf DVD) erzählt, was vor, hinter und nach Teil 1 geschah, nur ein Computerspiel erklärt, wieso einige Figuren in Teil 2 verschwinden und woher und warum andere auftauchen ... arbeitet da wer am ersten multimedialen Gesamtkunstwerk der Welt? Oder kommt der längst abgedrehte zweite Teil des zweiten Teils nur schon im November ins Kino, bevor sich am global box office herumspricht, dass Neo damals besser doch die blaue Pille genommen hätte?

Excuse Spoiler: Andererseits hätte er dann die einzige inhaltlich spannende Wendung in Matrix 2.1 verpasst. Der ganze Auserwählten-Quatsch ist eine verborgene Funktion des Systems, um abtrünnige Code-Schnipsel des Meta-Programms leichter treffen zu können ("it's not a bug, it's a feature"). Nur an dieser Stelle finden geheime Bedeutung und behauptete Fabel kurz zueinander - und nirgendwo anders ist das filmische Unvermögen der Comic-Freak-Brüder Wachowski so deutlich: den ganzen bösen Sub-Plot muss ein unvermittelt eingeführter Blofeld länglich einem gefangenen Bond ausplaudern, und nicht mal eine Katze darf er dabei kraulen. Passend dazu geht der emotionale Höhepunkt ("Rette die Welt oder rette deine Liebe") anschließend einfach durch die falsche Tür raus.

To be continued.

WING

USA 2003, 125 Min., R. & B.: Andy & Larry Wachowski, K.: Bill Pope, D.: Keanu Reeves, Laurence Fishburne, Carry-Ann Moss, Hugo Weaving, Jada Pinkett Smith, Monica Belluci