REQUIEM FOR A DREAM

Liebe reicht nicht

Darren Aronofskys geniales Liebes- und Drogendrama

Sie stehen im Sonnenuntergang und halten Händchen. Sie flüstern immer wieder, wie sehr sie einander lieben. Sie sind das perfekte Paar: Der coole Drogendealer Harry (Jared Leto) und Marion (Jennifer Connelly), seine Freundin aus gutem Hause . Sie machen Pläne für die Zukunft, Marion plant, einen Laden zu eröffnen. Das Geld dafür wollen sie mit Drogen verdienen. Und auch das klappt wunderbar: Wir sehen, wie der Dollar-Sparstrumpf immer dicker wird. Harry und Marion sind glücklich.
Harrys Mutter Sara (Ellen Burstyn) sitzt derweil in ihrer Wohnung in Coney Island und sieht meistens fern. Ihr größter Wunsch ist es, in einer Quizshow aufzutreten. Um dort ihr Lieblingskleid tragen zu können, fängt sie an zu hungern, schluckt Appetitzügler. Die zweite Handlungsebene beschreibt ihren langsamen Abstieg in den Pillen-Wahnsinn: Der Kühlschrank wird zum Monster, das Publikum im Fernsehen lacht Sara in ihrer Küche aus. Sara magert ab, verfällt, längst ist ihr das rote Kleid, dass ihr anfangs zu eng war, viel zu weit. Sie wird eingeliefert werden in die Psychiatrie, wo sie mit Elektroschocks behandelt wird. Was Ellen Burstyn hier leistet, soll dem Kamerammann während der Dreharbeiten die Tränen in die Augen getrieben haben.
Harry und Marion haben ein kleines Problem: der Drogenhandel läuft nicht mehr. Die Szene ist ausgetrocknet. Man lebt vom Ersparten. Das ist eines Tages weg. Jetzt kann nicht mal mehr die eigene Sucht befriedigt werden. Man wird unruhig. Nervös. Mißtrauisch. War das wirklich der letzte Schuß oder ist irgendwo im Haus noch was versteckt? Die Liebe ist noch da, aber sie hat keinen Platz mehr. Harry läßt sich auf windige und gefährliche Deals ein, Marion prostituiert sich.
Mit Split-Screen, Reißschwenks und Stopp-Motion-Sequenzen führt Darren Aronofsky ( Pi) seine Helden an den Abgrund. Die furiose Schlußsequenz, in der alle Figuren in einem absoluten Albtraum landen, wird man so schnell nicht vergessen. (weil hier nicht zu viel verraten werden soll, bleibt's bei Andeutungen, aber: das Ende von Sara, Harry und Marion wünscht man seinen schlimmsten Feinden nicht).
Anfangs eher idyllisch angelegt, zieht Aronofsky das Tempo an, schubst seine Figuren immer schneller ins Elend. Dass er dabei nicht allein auf die (virtuos verwendeten) technischen Tricks vertraut, sondern seinen Schauspielern große emotionale Szenen gibt und ihnen auch Zeit läßt, diese zu entwickeln, macht Requiem for a Dream für den Zuschauer so beklemmend; wenn die Connelly nach ihrem Nutten-Job vollkommen aufgelöst im Bad steht, versteht man Hubert Selby, den Autor der Geschichte: "Der Film hat mich zum Weinen gebracht."
Und noch eine Besonderheit: so sehr der Film im Schrillen landet, in grotesken Sex-Szenen, erschütternden Momenten der Gewalt - er wird nie laut, nie hektisch. Er ist eine Observation mit den Mitteln des Hightech-Kinos: Liebe und Sehnsucht reichen nicht aus, um dem Elend der Welt zu entgehen, sie scheinen eher den direkten Weg in den Untergang zu weisen.
Requiem for a Dream fand in Deutschland keinen Verleih und erschien nur auf DVD. Jetzt kommt er doch noch - mit einer Kopie! - ins Kino.

Thomas Friedrich

USA 2001. R: Darren Aronovsky. B: Darren Aronovsky & Hubert Selby. K: Matthew Libatique. D: Jared Leto, Ellen Burstyn, Jenniffer Connelly,