ROHTENBURG

Fütterung für Voyeure
Dokumentation oder Schlachtplatte - der Film zum Fall kann sich nicht entscheiden

Irgendwo da draußen ist jemand, der zu dir passt", sagt der Stricher, "aber ich bin es nicht". Zuvor hatte der Klient gebeten, man möge ihm doch den Penis abbeißen. Im Internet findet der Mann schließlich den Peiniger, der seine radikal-masochistischen Fantasien teilt und später als "Der Kannibale von Rotenburg" vor Gericht stehen wird.
Kein Verbrechen ist eklig genug, dass man nicht noch einen Film daraus machen könnte. Der Prozess gegen Armin Meiwes, der den Diplom-Ingenieur Bernd Brandes bei lebendigem Leibe kastrierte, das gebratene Geschlechtsteil gemeinsam mit dem Spender verspeiste und nach dessen Ableben den Restkörper über mehrere Wochen verzehrte, hat für Aufregung in den Medien gesorgt.
Über fehlende PR muss sich der Senator-Filmverleih also nicht beschweren, zumal man den Filmstart von Rohtenburg genau auf den Tag gelegt hat, an dem der Urteilsspruch der Berufungsverhandlung gegen Meiwes festgesetzt wurde. Der echte Kannibale hat gegen den Film geklagt, ohne Erfolg. Der befürchtete Imageverlust des Menschenfressers reichte wohl nicht aus, um ein Filmverbot zu legitimieren.
So darf das Kino wieder einmal ganz tief in das Reich des Bösen eindringen. Als Reiseführerin wird eine amerikanische Studentin in die Handlung eingeführt. Die angehende Kriminalpsychologin Katie Armstrong (Keri Russell) erforscht für ihre Abschlussarbeit den deutschen Kannibalismus-Fall. Ihre Spurensuche eröffnet eine jener beliebten Rahmenhandlung, die nur als Vorwand für den unorganisierten Einsatz von Rückblenden dient.
Die Kindheit von Täter und Opfer werden mit groben Psychogrammen skizziert. Simon Grombeck (Thomas Huber) leidet an unüberwindbaren Schuldkomplexen, seit die Mutter sich das Leben nahm, nachdem sie den Sohnemann beim homosexuellen Doktorspiel erwischt hatte. Meiwes alias Oliver Hartwin (Thomas Kretschmann) wächst als eigenbrötlerischer Sohn einer dominanten Mutter auf, dessen sadistische Fantasien durch den regelmäßigen Konsum von Gewaltvideos in die Abgründe kannibalistischer Perversion führen.
Natürlich erwartet man von einem Horrorfilm nicht tiefschürfende Persönlichkeitsanalysen. Das ärgerliche an Rohtenburg ist allerdings, dass er so tut, als habe er mehr im Sinn als die spekulative Schaulust des Publikums auf die blutige Perversion zu befriedigen. Die Off-Kommentare der angehenden Kriminalpsychologin, die Ausflüge in die Kindheit des sadomasochistischen Paares, die schmutzige, grobkörnige Bildästhetik - all diese zur Schau gestellten Ambitionen führen direkt ins Leere, weil dahinter eben kein Konzept steht, sondern nur der Wunsch dem Horrorfilm einen gewissen Reality-Touch zu geben.
Rohtenburg ist ein Horrorfilm mit schlechtem Gewissen und kann sich zwischen dokumentarischem Anspruch und blutrünstiger Unterhaltung nicht entscheiden. Wie sehr der frühere Werbeclip-Regisseur Martin Weisz und sein Drehbuchautor T.S. Faull mit dem Stoff in der Luft hängen, zeigt sich vor allem in den sinnentleerten Dialogen.
Wenn sich der Schlächter und sein Opfer endlich gegenüber stehen, erwartet man jedenfalls mehr als die kargen Drei-Wort-Sätze, die sich Kretschmann und Huber im strömenden Regen zuraunen.
Vielleicht liegt das daran, dass Rohtenburg mit Blick auf den internationalen Markt komplett auf Englisch gedreht wurde und man dem deutschen Personal nicht zu viel Wortballast aufladen wollte.

Martin Schwickert
A Grimm Love Story D/USA 2006 R: Martin Weisz B: T.S.Faull K: Jonathan Sela D: Thomas Kretschmann, Thomas Huber, Keri Russell