ROMEO UND JULIA

Feuer frei

Der Liebestod in den 90ern

Im Falle von William Shakespeare wäre eine Reinkarnation eine feine Sache. Allein mit den Tantiemen für die Filmrechte seiner Stücke hätte der gute William sich einen zweiten Lebensabend in rauschendem Luxus gesichert. Die Shakespearewelle rollt unerbittlich, und längst vergreift sich nicht mehr nur Kenneth Branagh an dem Klassiker (er droht für dieses Jahr übrigens den "Hamlet" an). Al Pacino hat sich gerade "Richard 3." zur Brust genommen, ein gewisser Trevor Nunn kündigt für das Frühjahr "Was Ihr wollt" an. Nein, eigentlich will man das alles nicht mehr sehen. Jetzt kommt auch noch Romeo und Julia daher, und man hört, der Regisseur Baz Luhrmann ( Strictly Ballroom ) habe das Liebesdrama für die sogenannte MTV-Generation übersetzt. Feuilletonisten rümpfen vorab die Nase, Englischlehrer reiben sich die Hände, andere fragen sich, was Romeo und Julia und Beavis & Butthead wohl gemeinsam haben könnten.
Das gute alte Verona ist in Baz Luhrmanns Romanzen-Version eine Mega-City irgendwo in Südamerika. Es ist heiß in Verona Beach, und in den ersten Filmsequenzen springt die Kamera hin und her wie kurz vor dem Siedepunkt. Zwei rivalisierende Familien beherrschen die Stadt: die Montagues und die Capulets. Der Familienzwist als Gang-Konflikt. Die einen mit bunten Hawaiihemden und Turnschuhen, die anderen in engen schwarzen Hosen und Westernstiefel mit verzierten Edelstahlabsätzen. Beide Parteien fuhrwerken mit dicken, chromglänzenden Wummen herum, bunten Bildchen sind in die Perlmuttgriffe eingearbeitet. Während einer wilden Tankstellenschießerei werden Einzelbilder kurz angehalten, um mit Schrifteinblendungen das Publikum mit den wichtigsten Protagonisten vertraut zu machen. Die Schnitte sind schnell, die Farben prall und die Ausstattungsdetails unüberschaubar in dieser rasenden Eingangssequenz.
Respektlos und traditionsbewußt zugleich geht Baz Luhrmann mit dem Überimage dieses Stoffes um. Gnadenlos modernisiert er die Bilder und amerikanisiert das Shakespeare-Englisch. Auf der Tonspur begegnen sich klassische Choräle, Heavy Metal und Hip Hop. Immer wieder springt der Film ins Musical: Ein rappender Ministrantenchor bleibt uns in guter Erinnerung. Ein Priester (Pete Postlethwaite) mit Kruzifix-Tattoo auf dem Rücken ebenfalls. Wenn Romeo (Leonardo DiCaprio) und Julia (Claire Danes) sich das erste Mal sehen, ist es Liebe auf den ersten Blick, und auch diesen Kinomythos scheint Shakespeare erfunden zu haben. Baz Luhrmann inszeniert das Liebesglück in derart grellbunten Farben, daß die Kategorie Kitsch außer Kraft gesetzt wird. Durch ein Aquarium hindurch treffen sich die Blicke und heften sich aneinander. Das opulent ausgestattete Chaos des abendlichen Balls bei den Capulets nimmt die Kamera jetzt nur noch aus dem Augenwinkel heraus wahr. So groß die Liebe ohnehin schon ist, das Verbot macht sie noch größer und gleichzeitig zur einzigen Rettungsinsel in einer feindlichen Welt. Und auch das ist eine alte Weisheit des Kinos und auch die inszeniert der Film mit aller Kraft.
Verona Beach ist eine Stadt mit prä-apokalyptischem Flair, multikultureller Endzeitstimmung und Hubschraubern über den Häusern. Als Romeo durch die Straßen eilt, um neben seiner Geliebten sterben zu können, wird er von Blaulicht und Polizeisirenen verfolgt. Aus der Luft zielen Scharfschützen auf ihn. Der Liebesfilm wird mit den Bildern des Actionfilms zuende gebracht.
Nein, diese Shakespeare-Verfilmung schreckt vor nichts zurück, und das ist gut so. Die Klassikerinszenierung wird zum Augenschmaus. Die exzessiven Ausstattungsorgien werden zum Sehgenuß, und wenn die Produktionsdesignerin Catherine Martin für ihre hervorragende Arbeit keinen Oscar kriegt (nominiert ist sie), soll die Academy zu Staub zerfallen.

Martin Schwickert