EIN MANN SIEHT ROSA

Nuancen des Mittelmaßes

Daniel Auteuil tut so, als sei er schwul

Wie jedes Jahr versammelt sich die komplette Belegschaft der Kondomfabrik auf der Freitreppe zu einem Gruppenfoto. Der Fotgraf dirigiert die Mitarbeiter enger zusammen. Es wird geschubst und gedrängelt. Am unteren linken Rand fällt ein Mann aus dem Bild. Im ganzen Betrieb gilt Pignon (Daniel Auteuil) als idealer Mobbing-Kandidat, und nach seiner Kündigung will der unscheinbare Buchhalter vom Balkon springen, um wenigstens sterbend ein wenig Aufmerksamkeit zu erregen. Sein Nachbar (Michel Aumont) hält ihn davon ab und schlägt einen arbeitsrechtlichen Coup vor. Pignon soll sich in der Firma als homosexuell outen, denn ein Unternehmen der latexverarbeitenden Industrie - so die politisch korrekte Logik - könne es sich nicht leisten, ihren einzigen schwulen Mitarbeiter zu entlassen. Ein unzweideutiges Foto wird lanciert.
Die Nachricht von den heimlichen Leidenschaften des unauffälligen Kontoristen verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Vielfältig sind die Reaktionen: Der Direktor (Jean Rochefort) nimmt sofort die Kündigung zurück. Obermacho Santini (Gérard Depardieu) umwirbt den Quotenschwulen mit Blumen und Kaschmirwolle. Kollegin Mademoiselle Bertrand (Michèle Laroque) testet den Betriebshomo nach Feierabend mit weiblicher Verführungskraft, und zwei Maskierte lauern ihm in der Tiefgarage auf. Obwohl Pignon nichts an seinem Verhalten geändert hat, wird er zur Projektionsfläche für politisch korrekten Übereifer, homophobe Wahnvorstellungen und verdrängte sexuelle Sehnsüchte.
Francis Veber gehört zu den wenigen französischen Filmemachern, die Komödien für die breite Masse verfassen. Von Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh über Ein Käfig voller Narren bis zu Dinner für Spinner - überall, wo man sich im kultivierten Frankreich auf die Schenkel klopft, taucht sein Name im Abspann auf. Davon sollte man sich nicht abschrecken lassen. Denn in Ein Mann sieht Rosa befreit sich Veber vom hektischen Pointenbetrieb und lotet die Komik hinter den Klischees aus. Kein Stammtischhumor, sondern intelligentes Boulevardkino. Ein Mann sieht Rosa kann bis in die Nebenrollen hinein auf ein erstklassiges Ensemble zurückgreifen. Gérard Depardieu spielt gegen sein Image als unverwüstlicher Lebemann an und stürzt sich mit ganzem Gewicht in die sexuelle Sinnkrise seiner Figur. Der unschlagbare Daniel Auteuil entdeckt in der Rolle des frustrierten Bürohengstes alle Nuancen der Mittelmäßigkeit.

Martin Schwickert

Le Placard F 2001 R&B: Francis Veber K: Luciano Tovoli D: Daniel Auteuil, Gérard Depardieu, Thierry Lhermitte