»ROSSINI«

Nordbad- Geschichten

Groß-Regisseur Helmut Dietls »Schtonk«-Nachfolger spielt beim Italiener.

Mit vollem Namen heißt dieser Film Rossini oder Die mörderische Frage, wer mit wem schlief . Klingt gut, hat mit dem Film aber so viel zu tun wie - sagen wir - Pizza Margarita mit der feinen italienischen Küche. Nämlich gar nichts. Erstens steht Pizza nicht auf der Karte des Ristorante Rossini, wo dieser Film größtenteils spielt, und zweitens gibt es zwar Beischlaf in diesem Film, aber erstaunlich wenig, wenn man die große Zahl der Hauptfiguren und den Untertitel bedenkt. Und drittens ist die Frage, wer hier mit wem schläft, gar nicht mörderisch, noch überhaupt wichtig. Höchstens ganz am Schluß, wo die Beischlafwilligkeit einer bestimmten Figur mit der Bereitschaft zum Verrat gleichgesetzt wird und daraus eine Art Botschaft abgeleitet wird: es gibt keine Treue, es gibt keine Liebe, aber das wußten wir schon, und auch, wenn wir finstere Botschaften ganz gerne haben, schmeckt dieser Schluß ziemlich schal. Es gehört nichts dazu, zu einem solchen Ergebnis zu kommen, überhaupt in dem Milieu, in dem Rossini spielt.
Das Film-Ristorante "Rossini" hat ein Vorbild: das "Romagna Antica", das strategisch günstig im Einzugsgebiet verschiedener Filmproduktionsbüros, der Redaktionen von "Bravo" und "Freundin", "Penthouse" und "Playboy" in der Nähe des Münchner Nordbades liegt. Man kann sich ungefähr vorstellen, was für Leute das Restaurant gewohnheitsmäßig bevölkern. Und so ist es auch. Das "Romagna Antica" ist offenbar ein Stammlokal der Münchner Film- und Presseschickeria, und man kann sich leicht ausmalen, was für einen Spaß Autor/Regisseur Helmut Dietl und Co-Autor Patrick Süskind hatten, als sie sich die Geschichten und Figuren ausdachten, die ihren Film beleben. Dietl selbst reagiert zwar mit einem dezenten "Bullshit", wenn er auf eventuelle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen angesprochen wird, aber zumindest wird er sich von der Wirklichkeit inspiriert haben lassen.
Wenn es eine Hauptperson gibt, ist das der berühmte Filmregisseur Uhu Zigeuner (ganz gut: Götz George), der Magen- und Potenzprobleme hat, wenn er gerade keinen Film dreht, was die verwelkende und kontinuierlich notgeile Klatschkolumnistin Charlotte Sanders (weit unter ihren Möglichkeiten: Hannelore Hoger) zur Verzweiflung bringt, weil nur Orgasmen gegen ihre Migräne helfen. Zigeuner (welch ein Name!) soll für den berühmten Produzenten Oskar Reiter (ganz hübsch: Heiner Lauterbach) den Bestseller "Loreley" verfilmen, es gibt nur ein paar klitzekleine Problemchen: erstens weigert sich der exzentrische Autor Jakob Windisch (wie immer: Joachim Król), die Verfilmungsrechte zu verkaufen, zweitens hat man noch keine Hauptdarstellerin, drittens ist Reiter praktisch pleite und viertens ist er auch noch damit beschäftigt, das Herz der schönen (naja: Gudrun Landgrebe) Valerie zu erobern, die an Verstopfung leidet und abwechselnd mit Reiter und dem jungen wilden Lyriker Bodo Kriegnitz (Jan Josef Liefers; die Gedichte stammen von Wolf Wondratschek) Geschlechtsverkehr an ungewöhnlichen Orten betreibt. Jemanden vergessen? Ja: Dr. Sigi Gelber (überraschend: Armin Rohde), ein Schönheitschirurg, der Valerie wirklich liebt, aber natürlich leer ausgeht, weil Valerie es vorzieht, sich am Ende in ihrem schwarzroten Bad die Pulsadern zu öffnen. Und natürlich der Wirt, Paolo Rossini, gespielt von Mario Adorf (rätselhaft, wie der Mann zu seinem guten Ruf als Schauspieler gekommen ist), der sich unsterblich in die junge Schauspielerin Schneewittchen (diese Namen!) verliebt, die aber nur die Loreley-Rolle im Sinn hat und dafür sogar ihre Geliebte Zillie Watussnik (grauenhaft wie immer: Meret Becker) verläßt. Man sieht: alles ist irgendwie miteinander verzahnt, und das meiste spielt im Ristorante. Was ziemlich hübsch anzusehen ist. Weil in den meisten Szenen irgendwie alle zu sehen sind, immer wuselt es hin und her, und alles sieht ganz echt aus. Die Dialoge sind meist geschliffen, bis auf Valeries ausufernde moralische Statements, die immer etwas lang geraten sind.
Ein Wort zu Veronica Ferres, die das Schneewittchen spielt, jene Verkörperung der deutschen Frau, die üblichen Männer-Phantasien: atemberaubend, Hure und Heilige, kraftvoll und schutzbedürftig zugleich und was es an kitschigen Macho-Frauenbildern noch so gibt. Nun ist Veronica Ferres bestimmt nicht so schlecht wie ihr Ruf, innerhalb ihrer Möglichkeiten kann sie sogar ganz überzeugend spielen. Bemerkenswert ist allerdings, wie eine Schauspielerin als Modell-Schönheit, als Superweib aufgebaut werden kann, deren Äußeres dem erstrebten Image sowas von überhaupt nicht entspricht. Und es scheint zu funktionieren. Wir würden nie so weit gehen wie der Kollege, der mäkelte, daß am Schluß "die Ferres auch noch ihre schlaffen Brüste ins Bild hängt", aber die Diskrepanz zwischen Image und Realität ist offensichtlich. Am besten war sie in "Unser Lehrer Dr. Specht". Der selbe Kollege fand Rossini übrigens lausig, TV-Ästhetik, unlogisch, schlecht geschrieben und lieblos runtergekurbelt. Der Mann versteht was davon, aber wir sind trotzdem nicht seiner Meinung. Wir fanden Rossini ausgesprochen amüsant und kurzweilig. Vielleicht nicht solide, aber zumindest liebevoll gebaut. Ganz bestimmt nicht das, was man vom aktuellen deutschen Groß-Regisseur Helmut Dietl erwarten kann. Aber eine nette und harmlose Abendvergnügung. Auch, wenn einen die Münchner Schickeria genauso wenig interessiert wie jede andere Kleinstadt-Szene.

Jens Steinbrenner