RUNNING SCARED

Hirnmasse und Happy End

Der kleine, schmutzige Krimi von Wayne Kramer bekommt am Ende Angst vor sich selbst

Nach drei Minuten ist der Tonfall klar. Eine Tür springt auf, maskierte Männer schießen auf unmaskiertge. Wir sehen mehrere Bauchschüsse, einem Mann werden die Hoden weggeballert, Hirnmasse wird großzügig an der Wand verteilet - so beginnt Running Scared.
Den Grund für diese Anfangsschießerei werden wir nie erfahren, aber sie setzt die Filmhandlung in Gang. Weil ein paar der Toten Cops waren (seltsamer Weise unter Skimasken), müssen die Waffen verschwinden, die benutzt wurden. Leider taucht eine der Pistolen wieder auf, denn obwohl Kleingauner Joey den Auftrag hatte, die Tatwerkzeuge im Fluss zu versenken, hat er sie erst einmal zu Hause im Schrank versteckt. Dort wiederum hat sich der stille russische Nachbarsjunge Oleg eine Waffe geschnappt und damit auf seinen brutalen Stiefvater geschossen. Ab sofort sucht Joey die Waffe, die Russenmafia sucht Oleg und die Waffe, die Italo-Mafia sucht Joey (der inzwischen Oleg sucht), und alle zusammen werden von Chazz Palminteri gesucht und gefunden, der den korrupten Chef der Drogenfahndung spielt und Erpressungsgeld dafür will, dass er weiß, wer die Cops am Anfang erschossen hat.
Das ist noch viel wirrer als es sich anhört und eigentlich egal. Denn Running Scared handelt von Oleg, dem 12jährigen Russenjungen, der mit großen traurigen Augen auf Amerika blickt und sich über nichts mehr zu wundern scheint. Sein prügelnder Stiefvater ist nicht anders als der ältliche Zuhälter, der zwei Straßen weiter seine Nutten verprügelt. Oleg gerät zwischen Drogendealer, die sich für ein paar Pillen und Pulvertütchen die Rübe wegpusten, er wird von einem Ehepaar entführt, das mit Oleg und zwei weiteren Kindern gerne einen gemütlichen Homeporno drehen möchte - Amerika ist hier ganz unten und sehr schmutzig.
Wayne Kramer drehte weit genug entfernt vom Studiosystem (in Tschechien), um sich keine Beschränkungen auferlegen zu müssen. Es spritzt das Blut und splittern die Knochen, alle fünf Minuten liegt ein Toter am Straßenrand. Und während die Kamera wild herumfuchtelt, die Bilder kippen und seltsam ineinander überblenden, versuchen Oleg und die Zuschauer gemeinsam herauszufinden, wer hier eigentlich die Guten sind. "Niemand kennt hier irgend jemanden" schreit ein Italo-Gangster hysterisch, bevor er seinem Kumpel aus nächster Nähe in den Kopf schießt. Hier herrscht Krieg, jeder gegen jeden. Amerika ist Gangland.
Um das zu illustrieren hat Kramer hat zwar keine richtige Geschichte (jedenfalls keine, die über das Niveau von Kill Bill hinausginge), aber beeindruckende Bilder.
Am Ende kippt der Film. Erst steigert er sich in ein finales endloses Blutbad hinein - um plötzlich in einer ländlichen Idylle zu landen. Am Ende will Kramer wohl nichts weiter gedreht haben als einen weiteren blutigen Krimi, in dem ziemlich oft "Fuck!" vorkommt. Plötzlich zeigt er uns in klaren, einfachen Bildern, wer die Guten sind. Aber nach allem, was wir gesehen haben, denken wir da: wir sind im falschen Film.
Manchmal liegt es an den Helden. 2003 debütierte Kramer mit der stillen Las Vegas-Komödie The Cooler. Da war William H. Macey der Held, der Schutzpatron aller hoffnungslosen Verlierer. Macey spielte darin einen traurigen Mann, der so viel Unglück bringt, dass er vom Casino dafür bezahlt wird, langsam an den Tischen vorbei zu gehen, damit alle verlieren. In Running Scared ist der Held Paul Walker - seit The Fast And The Furios Urbild für jene Männer, die ganz schnell von A nach B wollen. Und keine Ahnung haben, warum.

Thomas Friedrich

USA 2006. R&B: Wayne Kramer. K: Jim Whitaker. D: Paul Walker, Cameron Bright, Vera Famiga, Chazz Palminteri