Saiten des Lebens

Orchesterprobe

Ein erstaunliches und witziges Filmdebut: Yaron Zilbermans Melodram über die zerstrittenen Mitglieder eines Streichquartett

Eigentlich ist A Late Quartet (so der schöne Originaltitel) ein Film, der vor lauter Anspielungen und Metaphern nicht geradeaus laufen kann.

Die vier Mitglieder des weltberühmten Quartetts "The Fugue" stehen für Lebensentwürfe und - konzepte: Der erste Geiger (Mark Ivanir) steht für Disziplin und Brillanz (und Lustverzicht), der zweite (Philip Seymour Hoffman) für Sinnlichkeit und Leidenschaft, die Bratsche (Catherine Keener) hatte mal was mit der ersten Geige und heiratete dann die zweite. Der Cellist (Christopher Walken) ist das Herz dieses sensiblen Kultur-Konstrukts, in dem jede Menge Konflikte unausgesprochen bleiben. Yaron Zilberman (der bisher nur einen Dokumentarfilm gedreht hat) beginnt seinen Film mit dem Auftritt dieser glorreichen Vier: Unter Applaus betreten sie die Bühne, nehmen ihre Plätze ein - und starren auf den Boden. Keiner sieht den anderen an. Hier herrscht offenkundig Krieg.

Bevor die erste Note gespielt werden kann, springt der Film ein paar Wochen zurück: Das Quartett ist nach langer Zeit wiedervereint, man bereitet eine Konzertreise vor. Mitten in die Proben fällt die Nachricht, dass Robert Gelbart, der Cellist, an beginnendem Parkinson leidet. Wenn er überhaupt noch auftreten kann, wird das hier gewiss seine letzte Konzertsaison werden.

Diese Herzrhythmusstörungen im komplizierten Musik-Körper fördern, wie zu erwarten, viele Konflikte zu Tage. Es geht um Liebe, Verzicht, Sex, Betrug, und gegen Ende wird ein Musiker seinem Kollegen einen gewaltigen Faustschlag verpassen: Es geht um soviel mehr als um Musik.

Dazwischen doziert Christopher Walken (dessen letzter Geniestreich Stand Up Guys hier leider nicht ins Kino kam) über Beethoven und insbesondere sein "late quartet" Opus 131, das ausdrücklich ohne Unterbrechung aufgeführt werden soll ("wie im richtigen Leben"), was oft dazu führt, dass sich während des Spiels die Instrumente verstimmen. "Was tut man", fragt Walken seine Musikklasse, "spielt man einfach weiter oder hält man inne, um wieder den richtigen Ton zu finden?".

All diese Metapherei, die sich hier in den kleinsten Gesten wiederfindet, wäre wohl kaum zu ertragen, wenn das geniale Drehbuch sie nicht mit so viel Witz präsentierte. Und wenn (vor allem) Christopher Walken und Philip Seymour Hoffman diesen Witz nicht so subtil anspielen würden; auch der Große Nagus Wallace Shawn hat einen Gastauftritt, der die große Kunst der kleinen Geste geradezu zelebriert. Saiten des Lebens ist eine traurige Komödie für Leute, die gern mit Stil leiden. Kostüme und Inneneinrichtung, Musik und Licht sind hier vom Feinsten, in keiner Szene verliert Zilberman die Kontrolle über sein Mobilé der Verletzlichkeiten, in dem sich ständig Positionen verschieben und verändern und am Ende so viel Feindschaft zwischen allen Beteiligten herrscht, dass wir zu wissen glauben, wie die erste Szene enden wird.

Denn eigentlich sitzen alle vier Musiker ja immer noch zu einer Aufführung von Beethovens Opus 131 beisammen. Wie diese Szene dann doch ganz anders endet als wir dachten, sei nicht verraten. Saiten des Lebens ist ein realistischer Kunst-Film, in dem nichts echt ist. Und alles richtig. Allein in der letzten Szene werden durch Kameraeinstellung, Blicke und Gesten Geschichten erzählt, für die andere Filme einen ganzen Akt brauchen.

Mit mehr Stil und Würde kann man sich die Traurigkeit des Lebens im Kino derzeit nicht erzählen lassen.

Thomas Friedrich

A Late Quartet USA 2012 R: Yaron Zilberman B: Seth Grossman, Yaron Zilberman K: Frederick Elmes D: Christopher Walken, Catherine Keener, Philip Seymour Hoffman, Imogen Poots, Wallace Shawn, Mark Ivanir