An einem Samstag

Macho-Melancholie

Die Katastrophe von Tschernobyl als Grund zum Saufen

Die Bilder des havarierten Atomreaktors in Fukushima gingen innerhalb weniger Stunden nach der Katastrophe um die Welt. Nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl im April 1986 sickerten die Informationen sehr viel langsamer durch. Ganze sechsunddreißig Stunden warteten die Verantwortlichen, bis sie die Evakuierung des benachbarten Prypjat einleiteten. In der ukrainischen Kleinstadt wurden während dieser eineinhalb Tage Tausende Menschen schwer verstrahlt.

Gespenstisch sind die Bilder, mit denen der russische Filmemacher Alexander Mindadze in An einem Samstag diesen Frühlingstag rekonstruiert. Die Menschen schlendern ahnungslos durch die Straßen, treffen sich zum Picknick im Park oder zur Hochzeitsfeier im Kulturhaus. Aber was war mit denen, die es wussten, die dabei waren, als der Reaktor in Flammen aufging?

Bei seinem Parteibuch muss der junge Funktionär Valerij schwören, dass er nichts von dem Unglück erzählt. Trotzdem läuft er um sein Leben, er weiß, dass es auf jede Minute ankommt. Er zerrt seine Freundin Vera aus der Dusche, hetzt mit ihr zum Bahnhof, um die Stadt mit dem letzten Zug zu verlassen. Aber sie schaffen es nicht rechtzeitig, die Waggons rollen in gemächlichem Tempo aus dem Bahnhof heraus.

Statt nach einem anderen Weg aus der Stadt zu suchen, gehen die beiden zum Alltag über. Im Schuhgeschäft soll es neue Ware geben. Außerdem ist Veras Pass noch als Pfand für die Anlage im Kulturhaus, wo ihre Band zur Hochzeit aufspielt.

Zu der Rockmusikgruppe gehörte auch einmal Valerij, bevor er in der Partei Karriere gemacht hat. Und schon steht Vera auf der Bühne, ersetzt Valerij den besoffenen Schlagzeuger und trommelt um sein Leben, so wie er vorher um sein Leben zum Bahnhof gehetzt ist.

In wild verwackelten Handkameraaufnahmen verfolgt der Film diese nervösen Übersprungshandlungen seines Protagonisten, der sich besäuft, prügelt, alte Rechnungen begleicht oder mit dem Bräutigam auf der Wiese liegt, während drüben auf der anderen Seite des Flusses der Reaktor strahlt und strahlt.

Statt den moralischen Konflikt auszuloten, in dem sich die Wissenden gegenüber den Unwissenden befinden, verliert er sich in einer wodkagetränkten Machomelancholie, die alle Klischees von der morbiden Beschaffenheit der russischen Seele auf das Enervierendste bestätigt. Ein Reaktor explodiert - wenn das kein Grund zum Saufen und Raufen ist!

Bis zum Abwinken feiert Mindadze die nihilistische Virilität seiner verstrahlt-versoffenen Helden. Da hätte man doch 25 Jahre nach der Katastrophe etwas mehr Reflektionsniveau gewünscht.

Martin Schwickert

V subbotu R 2011 R & B: Aleksandr Mindadze K: Oleg Mutu D: Anton Shagin, Svetlana Smirnova, Stanislav Ryadinskiy