SHINE A LIGHT

Ganz heisse Sachen

Martin Scorsese verfilmt die Rolling Stones - live natürlich.

Etwas verlegen steht der Oberbeleuchter vor dem Regisseur und berichtet, dass die geplante Lichtanlage so viel Hitze entwickelt, dass Mick Jagger, wenn er länger als siebzehn Minuten darin stehe, wahrscheinlich Feuer fangen würde. "We can't burn Mick Jagger!" schreit Martin Scorsese ihn an. Aber die Sorgen des Regisseurs sind unberechtigt. Der Stones-Frontman bleibt während des Konzertes selten länger als ein paar Sekundenbruchteile auf einer Stelle.

Nachdem Martin Scorsese die Geschichte des Blues und den Werdegang Bob Dylans filmisch aufgearbeitet hat, verewigt er nun die Rolling Stones auf Celluloid. Dafür hat er ein Team von sechzehn hochkarätigen Kameramännern zusammen gestellt. Zwei Konzerte wurden im altehrwürdigen New Yorker Beacan-Theatre anberaumt. Kein riesiges Musik-Event mit Zehntausenden von Zuschauern, sondern ein kleines, intimes Konzert, zu dem sogar Bill Clinton samt Familienclan angereist ist.

Äußerst humorvoll setzt Scorsese den Widerspruch zwischen dem Kontroll- und Planungsbedürfnis des Filmregisseurs und der spontanen Entscheidungsfindung der Rockstars in Szene. Erst als die Musiker auf der Bühne stehen, bekommt Scorsese mit den ersten Akkorden von "Jumpin Jack Flash" die Setliste auf den Tisch, um die er schon seit Wochen gebettelt hat. Der Regisseur wirkt wie ein hilfloser Dompteur, der weiß, dass er diese Raubtiere nicht unter Kontrolle bekommen wird. Aus allen erdenklichen Blickwinkeln umkreisen die Kameras die schnellen, geschmeidigen Bewegungen Jaggers und fangen auch die kurzen Seitenblicke und Gesten ein, mit denen er die Einsätze der Band steuert.

Natürlich weiß man um Jaggers Ruf als begnadeter Performer. Aber Shine a Light zeigt die unglaubliche Bühnenenergie des Sängers aus allernächster Nähe, und die entfaltet sogar im gepolsterten Kinosessel ihre unmittelbar elektrifizierende Wirkung. Gegenüber dem hochaktiven Bandleader strahlt Keith Richards mit seinem echsenhaften Wesen, dem kindlichen Grinsen und der Art, wie er mit seiner Gitarre verwachsen ist, trotz der tiefen Lebensspuren im Gesicht immer noch eine fast naive Unschuld aus. Zwischen den Songs, die fast alle in voller Länge ausgespielt werden, schneidet Scorsese Archivmaterial vor allem aus den frühen Jahren der Band. Im Interview geben die jungen Musiker Auskunft über ihre vagen Zukunftsvorstellungen, die sehr weit von dem späteren Erfolg entfernt sind.

Die Ausflüge in die Geschichte bleiben auf einige kurze, originelle Sequenzen beschränkt. Shine a Light ist in erster Linie ein Konzertfilm. "Wenn wir auf die Bühne gehen, dann sind wir unsere eigene Welt" sagt Keith Richards und strahlt. Mit seinem ausgeklügelten Schnitt- und Kamerakonzept setzt Scorsese das Publikum mitten hinein in diese Welt und entwickelt aus ihr heraus ein höchst aufregendes Kinoerlebnis - ein Meilenstein in der Musikfilmgeschichte.

Martin Schwickert

USA 2008 R: Martin Scorsese K: Robert Richardson, Stuart Dryburgh, Bob Elswit u.a. Mit: Mick Jagger, Keith Richards, Charlie Watts, Ronnie Wood, Christina Aguilera, Buddy Guy, Jack White III


Das Interview zum Film