»SHINE«

Spielwütig

Wahre Geschichte mit viel Musik.

Am schönsten ist die Szene, in der der junge David Helfgott in London mit seinem Klavierprofessor zusammensitzt und übt, und der alte Professor, der selbst nicht mehr spielen kann, ihn ermuntert, so richtig reinzuhauen, und wenn dann, etwas später, der junge Helfgott eine Saite kaputtspielt: wie da ein jungenhaftes Strahlen über das Gesicht des alten Mannes scheint. Oder, etwas später, ganz am Anfang des Films, wenn David Helfgott (jetzt als Erwachsener) vor sich hin brabbelnd durch den Regen läuft und wahnsinnige Assoziationsketten von sich gibt. Wie er dann durchs Fenster in einem Restaurant ein Klavier sieht, das Restaurant betritt und die Angestellten, die längst Feierabend machen wollen, auf eine sehr nervige und doch charmante Art belästigt. Wie er sich dann widerspruchslos nach Hause bringen läßt und nicht spielt, diesmal, aber wie er dann später wiederkommt - das Restaurant ist jetzt voll - und zielstrebig das Klavier ansteuert. Und wie der erwachsene und fast zerlumpte David Helfgott dann irgendein unglaublich schwieriges und wahnsinnig schnelles kurzes Stück spielt, alle sind überrascht und begeistert, doch, das ist auch sehr schön. Überhaupt, wenn wir noch ein bißchen später sehen, daß in dem Restaurant kein olles Klavier mehr steht, sondern ein blitzblanker Flügel, an dem David Helfgott den Gästen regelmäßig zum Essen aufspielt. Weil wir doch wissen, wie sehr er spielen muß. Weil wir ihn gesehen haben, in der Irrenanstalt, wo diese Betreuerin irgendein simples Liedchen spielt hat, und das auch noch falsch, und wie sich Helfgott neben sie setzt und sagt, ja, er habe auch einmal gespielt, dürfe jetzt aber nicht mehr, und wenn die Betreuerin dann etwas abrückt und ihn erkennt, weil er doch einmal berühmt war, Australiens jüngster Virtuose, ein Wunderkind. In Wettbewerben hat er gespielt, und manche hat er gewonnen - zu wenig, sagte sein Vater Peter Helfgott, man müsse immer gewinnen, sonst ginge man unter. Der Vater stammt aus Polen. Fast die ganze Familie wurde im KZ ermordet, er ist davongekommen, mit dem unerfüllten Traum, Musiker zu werden. Und so überträgt Peter Helfgott seinen Ehrgeiz auf seinen Sohn. Er hat Glück, weil Peter begabt ist. So begabt, daß eine lokale Musikgröße kostenlos Klavierunterricht erteilt. So begabt, daß Isaac Stern ein Stipendium in den USA anbietet, was der Vater verbietet. Er will die Kontrolle nicht verlieren. So begabt, daß der kleine David, anfängt, Motive aus Rachmaninovs 3. Klavierkonzert zu klimpern. Womit der Zusammenbruch angekündigt wird. Gegen den Willen des Vaters nimmt der junge David nämlich ein Stipendium in London wahr, wird dafür vom Vater verstoßen, und wählt als Stück für die Abschlußprüfung "Rach 3", wie es der alte Klavierprofessor ehrfürchtig nennt. Es sei der Mount Everest für Pianisten. David erreicht den Gipfel - und bricht zusammen. So heftig, daß er die nächsten 10 Jahre in Irrenanstalten verbringt. Bis wir ihn am Anfang von Shine kennenlernen, brabbelnd und durch den Regen irrend.
Inzwischen ist David Helfgott auf Tournee, er reist durch die Welt und gibt Konzerte und hatte nichts dagegen, daß aus seiner Geschichte ein Film gemacht wird. Er hat die Musik, von der in Shine reichlich zu hören ist, selbst eingespielt.
Sehr gut gefallen haben uns die drei David Helfgotts Alex Rafalowicz (als Kind), Noah Taylor (als junger Mann) und Geoffrey Rush (als Erwachsener): sie haben nicht nur visuell Ähnlichkeit, sie benehmen sich auch ähnlich, zeigen das Auf-der-Kippe-stehen, das die Figur David Helfgott von Anfang an bestimmt, sehr schön und sehr dezent. Und: es ist kaum zu spüren, daß sie nicht selbst spielen.
Man sieht Shine an, daß er nicht aus den USA kommt, wo er eine sehr anrührende Erfolgsstory geworden wäre: Mega-Pianist überwindet Wahnsinn! Dieser (australische) Shine handelt davon, wie einer wahnsinnig wird - und der Behauptung, daß es gar nicht so schrecklich ist, etwas von diesem Wahnsinn ins normale Leben herüberzuretten.

Jens Steinbrenner