Simon

Die Fremden

Ein schwedisches Familiendrama vor politischem Hitnergrund

Hoch oben auf den dicken Ästen der alten Eiche fühlt sich Simon am wohlsten. Hier versinkt er in seine Bücherwelten und wenn der Wind durch die Zweige weht, hört es sich an, als würde der Baum mit ihm sprechen. Sein Vater ist dagegen, dass der Junge sich in ferne Fantasien flüchtet. Erik Larsson ist ein einfacher Handwerker mit einem proletarischen Bewusstsein, das fest im Hier und Jetzt verankert ist. Statt Bücher zu lesen, soll Simon boxen lernen, um sich durchzusetzen.

Nur durch die Unterstützung der Mutter (Helen Sjöholm) bekommt der Sohn die Erlaubnis die höhere Schule im nahen Göteborg zu besuchen. In der Stadt ist spürbar, was in der ländlichen Idylle nur als Zeitungsüberschrift wahrgenommen wird: Ein zweiter Weltkrieg steht vor der Tür und keiner weiß, ob nicht auch das neutrale Schweden mit hinein gezogen wird.

Simon freundet sich mit dem jüdischen Buchhändlersohn Isak an, der mit seinen Eltern vor den Nazis aus Berlin geflohen ist. Die Mutter ist nach den antisemitischen Übergriffen in Deutschland schwer traumatisiert und geht kaum noch aus dem Haus. Aber zu Isaks Vater Ruben entwickelt Simon eine enge Beziehung. Der gebildete Buchhändler versorgt den Jungen nicht nur mit Literatur, sondern nimmt ihn auch in sein erstes klassisches Konzert mit, das für Simon zu einem musikalischen Erweckungserlebnis wird.

Nachdem es auch in Göteborg zu antisemitischen Angriffen kommt, weigert sich Isak weiter zur Schule zu gehen, und als seine Mutter in ein Sanatorium eingeliefert wird, nehmen die Larssons den Jungen in ihrem Haus auf. Über die Jahrzehnte hinweg verbindet die beiden Familien fortan ein enges Band der Freundschaft, das aber auch immer wieder durch Konkurrenzen zwischen der bürgerlichen und der proletarischen Herkunft bestimmt ist. Als sich für Simon ein lange gehütetes Familiengeheimnis lüftet, verschieben sich erneut die Loyalitäten.

Vor dem Hintergrund der Weltgeschichte zwischen den Jahren 1939 und 1952 entwirft die schwedische Regisseurin Lena Ohlin ein komplexes Familiendrama, in das die Zeithistorie einsickert, ohne dass der Fokus auf die bewegte Figurenkonstellation verloren geht. Nur kurz sind einmal ein paar uniformierte deutsche Offiziere zu sehen und ihr Auftritt reicht aus, um die Bedrohung ins Bild zu setzen, die auch im neutralen Schweden vom Nationalsozialismus ausging und die persönliche Geschichte der beiden Familien durchdringt.

Ohlin hat dem Roman von Marianne Fredriksson schnörkellos, aber sehr differenziert für die Leinwand adaptiert und ein intimes Familienepos geschaffen, in dem die Charaktere nicht zu Schachfiguren der Historie werden, sondern gerade auch der moralische Bewegungsspielraum und die persönliche Integrität des Einzelnen genau vermessen werden.

Martin Schwickert

Simon D/S 2011 R: Lisa Ohlin B: Marnie Blok K: Dan Laustsen D: Bill Skarsgård, Helen Sjöholm, Stefan Gödicke, Jan Josef Liefers