Small World

Im Herzen der Bourgeoisie

Intrigen ganz oben - Chabrol konnte das besser

Keine Spur von Altersmüdigkeit bei Gérard Depardieu. Gerade erst tuckerte er in Mammuth auf dem Motorrad durch Frankreich. Demnächst flirtet er mit Catherine Deneuve in Francois Ozons Potiche, taucht als Analphabet in Jean Beckers Das Labyrinth der Wörter in die Welt der Literatur ein und hat für das Jahr 2011 gleich acht Filmprojekte in der Pipeline. Davor jedoch ist Depardieu in Small World zu sehen.

Depardieu kann ein wenig an seine Rolle in Mammuth anknüpfen, auch hier spielt er den scheinbar einfältigen Helden, der allerdings in ein vollkommen anderes Ambiente verpflanzt wird. Sein Konrad ist das proletarische Anhängsel einer französischen Industriellenfamilie. Eigentlich wurde er als Hausmeister auf den Landsitz abgeschoben, bis er in die Hochzeitsfeierlichkeiten des Firmenthronfolgers Philippe (Yannick Renier) und Simone (Alexandra Maria Lara) hereinplatzt und verkündet, dass die Ferienvilla abgefackelt sei.

Auf das plötzliche Auftreten Konrads reagiert die Familie mit gemischten Gefühlen. Der gelangweilte Vater des Bräutigams Thomas (Niels Arestrup), der mit Konrad seine ganze Kindheit verbracht hat, begegnet dem Besucher mit zynischer Abgrenzung. Seine Stiefmutter und Familienmatriarchin Elvira (Françoise Fabian) hat noch Reste fürsorglicher Gefühle für den Sohn des früheren Dienstmädchens, der von seiner Mutter im Kindesalter verlassen wurde. Thomas Ex-Frau Elisabeth (Nathalie Baye) wirft sich in die Arme des sanftmütigen Mannes, in den sie schon lange Zeit verliebt ist.

Aber wie sich bald herausstellt, ist Konrad an Demenz erkrankt und sein Zustand des Vergessens macht ihn zunehmend lebensunfähig. Die Familie steckt ihn gegenüber ins Gästehaus und Simone, die sich in ihrer jungen Ehe schon ziemlich einsam fühlt, kümmert sich um Konrad, der sie zwar nach einem Tag wieder vergessen hat, aber sich an die gut gehüteten Familiengeheimnisse der Vergangenheit bestens erinnert. Small World ist ein konventionell inszeniertes Familienkammerspiel aus dem Herzen der französischen Bourgeoisie in der Tradition eines Claude-Chabrol-Filmes. Auch hier bröckelt die ehrenwerte Fassade der Oberschicht, die bekanntlich immer ein paar Leichen im Keller begraben hat. Allerdings fehlt Regisseur Bruno Chiche die analytische Gnadenlosigkeit, mit der Chabrol den diskreten Charme der Bourgeoisie dekonstruierte. Dennoch bietet "Small World" exzellentes Schauspielerkino. Neben Depardieu, Nathalie Baye und Niels Arestrup glänzt vor allem Françoise Fabian - eine der ganz großen Damen des französischen Kinos, die schon in Luis Buñuels "Belle de Jour" (1967) vor der Kamera stand. Daneben sieht Alexandra Maria Lara zwangsläufig ein wenig blass aus.

Martin Schwickert

D/F 2010 R&B: Bruno Chiche nach einem Roman von Martin Suter K: Thomas Hardmeier D: Gérard Depardieu, Alexandra Maria Lara, Françoise Fabian