Snowpiercer

Zug ins Nichts

Ein intelligenter SF-Thriller, der für den US-Markt vom Verleih blockiert wird

Ein Zug donnert durch die zu Eis erstarrte Landschaft. Genau zwölf Monate braucht er, um die Erde zu umrunden. Seit siebzehn Jahren schon fährt er ohne anzuhalten, angetrieben von einer "heiligen Maschine". Ein Perpetuum Mobile in einem postapokalyptischen Szenario.

Damals hatte die Menschheit versucht, dem Treibhauseffekt zu entgehen. Aber das Gas, das in die Atmosphäre versprüht wurde, hat den Planeten in eine globale Eiszeit versetzt und alles Leben ausgelöscht. Die einzige Rettung für die wenigen Überlebenden war der Zug, in dem ein rigides Zweiklassensystem herrscht. In den hinteren Waggons sind auf engstem Raum Hunderte Menschen zusammen gepfercht, die sich von glibberigen Proteinbriketts ernähren müssen und vom Wachpersonal schikaniert werden. Im vorderen Teil hingegen leben die Reichen im Wellnessmodus mit Partywaggon, Sushi-Bar und Dampfsauna.

An der Spitze residiert der Herrscher und Erfinder des Zuges Wilford, dem die Geretteten zu ewigem Gehorsam verpflichtet sind. Aber in der Holzklasse braut sich eine Rebellion zusammen. Curtis (Chris Evans), sein alter Mentor Gilliam (John Hurt) und deren Anhänger sind entschlossen sich bis zur Zugspitze vorzukämpfen. Denn nur wer die "heilige Maschine" kontrolliert, kann die Zustände im Zug verändern.

Eine kraftvolle Analogie auf die globalen, gesellschaftlichen Verhältnisse und die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich, hat Bong Joon-ho mit seinem avantgardistischen Actionfilm Snowpiercer entwickelt. Der koreanische Regisseur hatte bereits mit dem Monstermovie The Host internationalen Kultstatus erreicht und dem Genrekino intellektuell und ästhetisch einen Innovationsschub verpaßt.

Das gleiche gilt für die düstere Science-Fiction-Vision von Snowpiercer, die jenseits der politischen Metaphorik zu einem in jeglicher Hinsicht atemberaubenden Actionabenteuer ausgebaut wird.

Wenn sich die Rebellen von Waggon zu Waggon vorkämpfen, eröffnen sich mit jedem Zugabteil neue fantastische Filmsets: von der düsteren, verslumten Wagen der dritten Klasse hin zu lichten Treibhäusern mit Orangenbäumen, riesigen Aquarien, schrillen Techno-Clubs, vernebeltem Saunabereichen und knallbunten Schulklassenräumen, in denen die Kinder der Reichen die ehernen Klassengesetze des Zuges lernen.

In den zahlreichen, recht blutigen Kampfchoreografien arbeitet Bong Joon-ho sehr gewinnbringend mit der klaustrophobischen Enge des Raumes. Dazwischen nimmt sich der Film immer wieder Zeit für Ruhephasen, in denen an der Entwicklung und Offenbarung der Charaktere gearbeitet wird. Neben der intelligenten Schlusswendung ist vor allem die ausgeklügelte Balance zwischen Dynamik und Reflektion, die Snowpiercer deutlich von US-Genreproduktionen unterscheidet.

Dass der amerikanische Rechteinhaber Harvey Weinstein den Film für den US-Markt um zwanzig Minuten kürzen wollte, weil er für das Multiplex-Publikum zu intelligent sei, ist ein Kompliment für den Regisseur, aber ein Armutszeugnis für die amerikanische Filmindustrie, die die Zuschauer auf chronische Weise unterschätzt.

Martin Schwickert

Südkorea/USA/F 2013 R&B: Bong Joon-ho K: Hong Kyung-Pyo D: Chris Evans, John Hurt, Tilda Swinton 128 Min.