SOMMER

Frauenfragen

Eric Rohmer und die Trägheit des Sommers

Mit einem Film von Eric Rohmer verhält es sich wie mit Grünkohl: die einen hassen ihn, andere wiederum lieben ihn heiß und innig; dazwischen gibt es nur wenig.
Rohmer-Hasser brauchen sich diesen Film nicht anzusehen (und eigentlich gar nicht weiterzulesen), sie werden auch Sommer nicht mögen, denn der Veteran der "Nouvelle Vague" hat seine Art Filme zu machen in den letzten Jahrzehnten kaum verändert. Auch in diesem Film wird viel geredet, die Unwägbarkeiten der Liebe hoch und runter dekliniert, und wenn es so etwas gibt, ist Rohmer ein Meister der unterhaltsamen Langeweile.
Es ist Sommer, es ist heiß, und da ist das Meer. Am Strand liegen die Erholungssuchenden aus den Städten dicht an dicht, und da ist Gaspard (Melvil Poupaud), der - nun ja - Held dieser Geschichte. Dunkler Lockenkopf, jung, Musiker unter anderem. Im melancholischen Giraffengang stakst er über den Strand. Nirgendwo kann man so herrlich alleine sein wie in einem überfüllten Badeort im Sommer in der Bretagne.
Gaspard dichtet und komponiert Seemannsballaden, und er wartet. Léna, seine Freundin, macht ohne ihn Ferien. Vage haben sie sich für ein paar Tage Resturlaub hier in Dinard verabredet. Ebenso vage ist die Beziehung der beiden irgendwo zwischen großer Liebe und fatalem Irrtum angesiedelt.
"Ich glaube nicht, daß sie dich liebt", sagt Margot, "ich glaube auch nicht, daß du sie liebst. Und ich frage mich, ob sie überhaupt existiert." Margot (Amanda Langet aus Pauline am Strand ) ist eine Urlaubsbekanntschaft, der Versuch eines freundschaftlichen Verhältnisses, falls es so etwas zwischen Männern und Frauen geben sollte. Beide gehen Tag für Tag spazieren, so oft und ausgiebig, daß man schon vom Zuschauen Schwielen an die Füße bekommt. Gaspard schüttet ihr sein wirres Herz aus, bis er Frau Nummer drei kennenlernt. Soléne (Gwenaelle Simon), eine Brünette mit Prinzipien, die ohne Umschweife gleich zur Sache kommt. Gaspard läßt sich nur zu gern auf diese Affäre ein, bis auch dies ihn überfordert.
Drei Frauen, drei Konzepte: Freundschaft, Liebe, Affäre - diese Dreifaltigkeit hat schon so manche Beziehung aus den Angeln gehoben. Daß Männer keine Helden und trotzdem nicht alle Verbrecher sind, daß weiß man aus dem wirklichen Leben, auch wenn dies im Kino immer wieder dementiert wird. In Sachen Liebe zumindest sind Männer elende Zauderer, können sich nicht entscheiden und verpassen zielstrebig ihr Glück. Am Schluß hat Gaspard drei Versprechen gegeben und weiß nicht, ob er nun mit Lena, Soléne oder vielleicht doch lieber mit Margot nach Quessant fahren soll. Ein Anruf rettet ihn: Ein Freund verkauft zu günstigen Konditionen ein achtspuriges Tonbandgerät - eine einmalige Gelegenheit und ein guter Vorwand zur überstürzten Abreise. Eine Entscheidung für die Flucht vor der Entscheidung, aber die erste Entscheidung, die Gaspard mit einem gewissen Leuchten in den Augen trifft.
Wie schon in den anderen Teilen des "Jahreszeitenzyklus" Wintermärchen und Frühlingserzählung handelt der mittlerweile 76jährige Rohmer das Liebesthema erfrischend undramatisch ab. Dort, wo in Hollywood ganze Talsperren mit Tränenflüssigkeit gefüllt werden, herrschen bei Rohmer ein flüchtiges Achselzucken, eine Hand, die das grüblerische Kinn stützt, oder der plötzliche Pragmatismus in Form eines achtspurigen Tonbandgerätes. In langen Einstellungen widmet sich die Kamera den Schauspielern mit liebevoller Genauigkeit. Sommer ist ein Film, der seine Figuren mag und sie nicht als Trägersubstanz für eine wendungsreiche Geschichte benötigt. Eine angenehme Trägheit macht sich breit: die Trägheit des Sommers in hellen, immer ein wenig überbelichteten Bildern (Kamera: Diane Baratier), die völlig ohne Hintergrundmusik auskommen. Ebenso dezent der Humor: nicht das schenkelklopfende, pointenhungrige Lachen deutscher Beziehungskomödien, sondern ein unwillkürliches Schmunzeln - ein Schmunzeln, das einem versichert, daß man sich gerade ein wenig selbst beobachtet hat, was uns mit den Seltsamkeiten dieses Lebens versöhnt.

Martin Schwickert