Ein Sommersandtraum

Ein Mann leckt

Eine skurrile Fantasy-Komödie aus der Schweiz

Benno rieselt. Erst ist es nur ein einzelnes Sandkorn auf dem Briefmarkenalbum. Dann eine feine Spur, die er durch den Flur zieht, oder eine kräftige Portion, die aus dem Ärmel direkt auf den Pasta-Teller fällt. Schließlich füllen sich die zugebundenen Hosenbeine innerhalb weniger Minuten mit Sand und die Wohnung sieht nach ein paar Tagen aus wie eine Strandbar. Der Arzt zuckt mit den Schultern. "Schöne Metapher" sagt der Psychotherapeut.

Recht hat er, auch wenn der Patient darauf beharrt, dass tatsächlich echter Sand aus ihm rieselt. Denn das, was in Peter Luisis Komödie Ein Sommersandtraum aus dem verzweifelten Helden herausdringt, ist nicht nur Sand, sondern auch eine Menge übersteigertes Selbstbewusstsein. Man muss wissen: Benno ist ein egozentrischer Kotzbrocken, auch wenn man nicht genau weiß, woher der Mann die hohe Wertschätzung seiner selbst nimmt. Er kennt sich aus mit klassischer Musik, schönen Frauen und alten Briefmarken. Aus dem Musikstudium ist nichts geworden, aber immerhin arbeitet er im Philatelie-Fachhandel und zieht die Kundschaft über den Tisch.

Unter seiner Züricher Wohnung betreibt Sandra eine Bar, in der Benno jeden Morgen seinen Kaffee einnimmt. Sandra träumt von einer Karriere als Ein-Frau-Orchester und macht nach Ladenschluss das Café zu ihrer Bühne. Benno hasst die allabendliche Ruhestörung, die Musik und auch die Sängerin, was er in schonungslosen Tiraden deutlich zum Ausdruck bringt. Aber dann beginnt er zu rieseln, und mit dem Sand drängen sich auch erotische Alpträume in sein Unterbewusstsein, in denen ausgerechnet Sandra die zentrale Rolle spielt.

Mit Ein Sommersandtraum ist dem Schweizer Filmemacher Peter Luisi eine äußerst originelle Version der romantischen Komödie gelungen. Während das Genre üblicherweise mit überschaubaren Dramaturgien süßlich vor sich hinklebt, regieren hier tiefschwarzer Humor, drastische Verbalattacken und eine gute Portion Poesie. Eine ungewöhnliche Mischung, die auf der Leinwand ihren ganz eigenen Charme entwickelt.

Die Hauptfigur Benno bündelt Fabian Krüger zu einer bitterbösen Karikatur männlicher Selbstherrlichkeit, die im Zuge der rieselnden Inkontinenz genussvoll in die Krise geführt wird, ohne ihr alle Sympathien zu entziehen. Der Sand knirscht anfangs nur ein wenig im Lebensgetriebe, bringt jedoch mit zunehmender Beharrlichkeit die Existenz des Zynikers zum Erliegen. Fantasievoll lotet Luisi die erzählerischen und visuellen Möglichkeiten seiner Sandmann-Metapher aus und baut die Geschichte zu einem ebenso grotesken wie unterhaltsamen Märchen über eine unfreiwillige Liebe aus.

Martin Schwickert

CH 2010 R&B: Peter Luisi K: Lorenz Merz D: Fabian Krüger, Irene Brügger, Beat Schlatter