»LONE STAR«

Geschichten an der Grenze

Der Mann für kleine große Filme: John Sayles

Die fiktive Kleinstadt Frontera, in der John Sayles seinen neuen Film Lone Star ansiedelt, liegt gerade noch soeben im US-Bundesstaat Texas. Im Schulunterricht wird über die Geschichte des Ortes gestritten: Frontera gehörte mal zu den USA, mal zu Mexiko, mal zum texanischen Freistaat. Zwar wird hier überwiegend Spanisch gesprochen, weil die Mehrheit der Bewohner Mexikaner sind. Regiert wird die Grenzstadt jedoch seit langer Zeit von den Anglos, und auf drohenden Machtverlust reagieren sie mit Bunkermentalität und rassistischen Ausfällen.
Es gab mal einen Sheriff in Frontera, der über die ethnischen Grenzen hinweg zur Legende wurde und dem jetzt vor dem Rathaus ein Denkmal gesetzt werden soll. Buddy Deeds (Matthew McConaughey) habe, so gibt der alte Bürgermeister am Tresen immer wieder gerne zum besten, den korrupten, brutalen Sheriff Charley Wade (Kris Kristofferson) 1957 aus der Stadt gejagt, selbst das Amt übernommen und danach bis zu seinem Tod ausschließlich Gutes bewirkt. Nachfolger ist heute sein Sohn Sam (Chris Cooper), und der trägt schwer am Heldenerbe des Vaters.
Als man in der Wüste ein Skelett mit einem verwitterten Sheriff-Stern findet, vermutet Deeds-Junior, daß es sich hierbei um die Gebeine des alten Charley Wade handelt und daß sein Vater nicht unbeteiligt an dessen Tod war. Während Sam Deeds kriminalistisch an der Entthronung des väterlichen Überichs arbeitet, verteidigen die alten Herren der Stadt ihren Helden gegen alle Verdächtigungen.
Wie in City Of Hope , so widmet sich Regisseur John Sayles auch in Lone Star der langsamen Entflechtung eines undurchschaubaren Dickichts aus Macht, Korruption und persönlicher Schuld. Die Reisen in die Vergangenheit erhellen Stück für Stück die Verwicklungen der Gegenwart, ohne sie jedoch auflösen zu können. Dabei geht es jedoch weniger um schmutzige Geschäfte als um persönliche und familiäre Konflikte zwischen den Generationen. Es wimmelt nur so vor komplizierten Vater/Sohn- und Mutter/Tochter-Beziehungen in diesem Film. Das sorgfältig gedrechselte Drehbuch, das die verschiedenen Zeitebenen nahtlos ineinander montiert und immer neue Verbindungslinien zwischen den Figuren zieht, verdient allen cineastischen Respekt, auch wenn uns die Story nicht gerade in atemloser Spannung hält. In gelassenem Tempo fächert Sayles seine verschlungene Geschichte auf und nimmt sich dabei zum Glück genug Zeit für die atmosphärisch dichte Beschreibung des texanisch-mexikanischen Kulturgemischs. Die Arbeit vor Ort an Originalschauplätzen hat sich hier bezahlt gemacht. Die texanische Mittagshitze kriecht richtiggehend in die Bilder hinein und Siesta-Stimmung macht sich breit. Garniert wird das Ganze mit einem exzellenten Soundtrack, der mexikanische Schnulzen, texanische Country-Klänge und melancholische Blues-Songs auf das Angenehmste miteinander verbindet.

Martin Schwickert