STATION AGENT

Blicke ins Herz

Ein ruhiges Debut über drei Außenseiter

Ich mag keine Kneipen" sagt Finbar (Peter Dinklage). Aber irgendwann landet er dann doch in der Dorftaverne. Die einen starren ihn an. Die anderen geben sich betont normal. Als drei Männer angetrunken hereinkommen und mit dem Finger auf ihn zeigen, ist das Maß voll. Finbar, gerade einmal einen Meter groß, springt auf den Tresen, breitet die Arme aus und brüllt mit Jahrzehnte angestauter Wut: "Schaut mich an. Hier bin ich."
Es sind nur wenige Sekunden, in denen sich Thomas McCarthys Station Agent mit Shakespearescher Wucht entlädt. Aber es ist eine Szene, die sich fest ins Gedächtnis einschreibt. Gerade auch weil sie in einem Film verankert ist, der das Dramatische meidet und zeigt, dass sich persönliche Veränderungen nicht in kühnen Sprüngen, sondern in langsamen Kriechbewegungen vollziehen.
Weil alle in ihm nur den Zwerg sehen, hat sich Finbar von der Welt abgekoppelt. Züge interessieren ihn mehr als Menschen. Als er von dem Besitzer des Modelleisenbahnladens, in dem er gearbeitet hat, ein stillgelegtes Bahnwärterhaus erbt, zieht er weg aus New York in die Wildnis New Jerseys.
Aber das Eremitendasein wird schon bald empfindlich gestört. Schräg gegenüber an der Landstraße betreibt Joe (Bobby Cannavale) einen mäßig frequentierten Hot-Dog-Stand. Joe ist ein einfaches Gemüt mit einem ausgeprägten Kommunikationsdrang. Wenn Finnbar zu ihm sagt "Ich rede nicht gern", klingt das für Joe wie eine Nachricht aus einer anderen Welt. Aber mit seiner offensiven Unbekümmertheit arbeitet er sich langsam an den Neuankömmling heran, begleitet ihn auf seinen Spaziergängen entlang der Bahngleise, lockt ihn hier und da aus der Reserve und lernt - wenigstens für ein paar Minuten - das Unvorstellbare: Schweigen.
Zu dem ungleichen Paar gesellt sich Olivia (Patricia Clarksen). Gleich zweimal fährt sie Finbar mit dem Auto fast über den Haufen. Seit dem Tod ihres Kindes läuft Olivia neben der Spur. Vielleicht fühlt sie sich deshalb von Finbars fokussiertem Wesen angezogen. Ziellos driften die Drei durch die lauen Sommertage New Jerseys.
Viel passiert nicht in Station Agent. Thomas McCarthys selbstsicheres Regiedebüt funktioniert allein über das Aufeinandertreffen der verschiedenen Charaktere, die verschiedene Formen der Einsamkeit repräsentieren. Das Schauspieler-Trio - allen voran die ungekrönte Indie-Queen Patricia Clarkson (Eine wie April) - überzeugt durch präzise Charakterzeichnung.
Nur einen Spalt weit öffnen sich die Türen zu den Herzen der Figuren. Aber gerade in der vorsichtigen Annäherung und der geduldigen Beobachtung liegt die eigentliche Spannung des Films, der seine Handlung ins Innere der Figuren verlegt hat.
Wenn die Drei schweigend nebeneinander auf der Veranda sitzen, dann passiert hier mehr als in zwanzig Minuten Matrix Reloaded - man muss nur genau hinsehen.

Martin Schwickert